© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/17 / 13. Januar 2017

Gefahr hinter Gittern
Islamismus: In deutschen Haftanstalten versuchen Extremisten, ihre Mitinsassen zu missionieren / Gegenmaßnahmen sind schwierig
Martina Meckelein

Mindestens 155 Islamisten sollen in Deutschland in Haft sitzen. Bei einer Gesamtzahl von 63.100 Häftlingen scheint das eine verschwindend geringe Menge. Ist sie allerdings auch eine zu vernachlässigende? Vermutlich nicht. Denn die Zahl der Extremisten in Gefängnissen stieg innerhalb nur eines Jahres um 30 Prozent an. Die Rheinische Post hatte Ende vergangenen Jahres bei den Justizministerien aller 16 Bundesländer nachgefragt, wie viele Islamisten in den Gefängnissen einsitzen würden. Bayern meldete 51 Islamisten und Berlin 35. Rund die Hälfte von ihnen befänden sich in Untersuchungshaft. Experten gehen von einer weit höheren Dunkelziffer aus. Nur in Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland und Thüringen säßen keine Islamisten in den Gefängnissen.

Wie kommt es zu diesem Anstieg? Liegt es an neuen Gesetzen, die immer mehr Islamisten hinter Gitter bringen? Oder sind deutsche Gefängnisse womöglich eine wahre Brutstätte für islamistische Extremisten und Terroristen? 

„Alle wollen den islamischen Staat in Deutschland“

Eine Spurensuche. Allein in Bayern gibt es mehr als 4.000 Islamisten. „Aber Extremismus ist nicht per se strafbar“, sagt Markus Schäfert, Sprecher des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz, der JUNGEN FREIHEIT. „Da gibt es verschiedene Abstufungen.“ Ende Dezember stufte das Bundesinnenministerium 549 Personen in Deutschland als Gefährder ein. Ein Jahr zuvor betrug die Zahl noch 447 Personen. In Haft sitzen sie deshalb aber nicht.

Islamisten, Gefährder, Terroristen. „Alle eint, daß sie einen islamischen Staat in Deutschland errichten wollen. Der Unterschied liegt im Wie. Also mit legalistischen Mitteln oder aber mit Gewalt“, sagt Schäfert. Und genau diese Gewaltbereitschaft gilt es zu ermitteln. Im Jahr 2015 wurde zum Beispiel der Islamische Staat (IS) in Deutschland verboten. Das heißt, auch das Zeigen und posten der IS-Flagge steht unter Strafe. Und doch wird es getan. Unter anderem deshalb ist ein Anstieg der Festnahmen von Islamisten in Deutschland zu erklären. Doch die Gefahr durch Rekrutierung von in deutschen Gefängnissen einsitzenden Häftlingen ist schon seit Jahren auf dem Schirm des Verfassungsschutzes, lange vor dem IS-Verbot.

Der bayerische Verfassungsschutz ist führend darin, sogenannte  „Handreichungen“, Anleitungen zum Erkennen Islamisten und zum Umgang mit ihnen für die Justizvollzugsanstalten zu erarbeiten. „Um zu verhindern, daß in unseren Haftanstalten Gefangene durch muslimische Extremisten missioniert werden, arbeiten wir mehrgleisig“, sagt Schäfert. „So sind wir beratend in die Aus- und Fortbildung der Justizvollzugsbeamten eingebunden. Schließlich ist nicht jeder Häftling, der einen Koran in der Zelle hat, gleich ein Salafist. Allerdings gibt es bestimmte Symbolik, die entschlüsselt, gelesen und verstanden werden will. Auch die Literatur in den Gefängnisbibliotheken muß kontrolliert werden.“ Dafür sind im Nachrichtendienst des Freistaats Islamwissenschaftler tätig, die seit rund zehn Jahren eng mit den Justizvollzugsanstalten kooperieren.

Damit keine Missionierung anderer Häftlinge durch einschlägig bekannte Personen, die in die Gefängnisse eingeliefert werden, erfolgt, können sie beispielsweise separiert oder immer wieder in andere Haftanstalten verlegt werden, so Schäfert.

Doch der Erfolg ist, glaubt man den Medien, gering. „Einer geht rein – fünf kommen raus“, schrieb im Dezember 2014 die Welt und berichtete über den ersten in Deutschland verurteilten IS-Kämpfer: einen 20jährigen Mann, geboren in Hanau, der in Syrien gekämpft hatte und in Deutschland als Mitglied einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu drei Jahren und neun Monaten Gefängnis nach Jugendstrafrecht verurteilt worden war. Er sagte damals aus, daß es gut sei, in einem Kalifat unter der Scharia zu leben, und ob eine Enthauptung angebracht sei, käme „auf die Sünde an, die derjenige begangen hätte“.

Ob die Verurteilung ihn zum Umdenken bringt? Die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) bezweifelte das: „Kaum einer, der sich in Syrien an Kampfhandlungen beteiligt hat, wird aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung von diesem Gedankengut ablassen“.

Und hier wird es gefährlich. Denn über Jahre kann dieser inhaftierte IS-Kämpfer wiederum meist junge Männer und Frauen in den Haftanstalten radikalisieren. Die Opfer sind religionsferne Menschen im Alter zwischen 17 und 27 Jahren ohne hohen Bildungsstand. Im August stellte der AfD-Abgeordnete Emil Sänze eine kleine Anfrage im baden-württembergischen Landtag zu Gefängnisinsassen im Land. Demnach gaben, Stand 31. Juli 2016, von den 7.095 einsitzenden Häftlingen 23,2 Prozent „muslimisch“ als Religionszugehörigkeit an. 1.646 Häftlinge – mindestens. Viel religiöser Boden, der von den Falschen beackert werden könnte. Ein besonderes Augenmerk liegt aus diesem Grund auf den islamischen Seelsorgern in den Gefängnissen. Baden-Württemberg hat deshalb im Jahr 2015 das Förderprogramm islamische Gefangenenseelsorge initiiert. Durch das mit 86.000 Euro Fördermittel finanzierte Programm sollen 25 islamische Gefangenenseelsorger für ihre Aufgaben in den JVAs im Südwesten ausgebildet werden. Zusätzlich hat das Land weitere 100.000 Euro für ehrenamtlich tätige Imame beantragt.

Auch Nordrhein-Westfalen – aktuell 16.047 Häftlinge, davon 3.349 muslimischen Glaubens und 37 terroristische Islamisten – hat ein Präventionsprogramm aufgelegt. Gleichwohl hat das Land keine konkreten Anhaltspunkte dafür, daß sich Gefangene in Haftanstalten radikalisiert haben.