© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/17 / 13. Januar 2017

Platz für eine neue rechte Partei
Spanien: Wider Erwarten behauptet sich die Minderheitsregierung um den Partido Popular, doch in der Partei regt sich Widerstand
Michael Ludwig

Die Mehrheit der Spanier dachte, daß das nicht lange gut gehen wird – Ministerpräsident Mariano Rajoy würde, davon gingen sie aus, mit seiner konservativen Minderheitsregierung sehr schnell scheitern. Doch zweieinhalb Monate später reiben sie sich die Augen: die Stimmung im Land ist hoffungsvoller denn je, Weihnachten und die Heiligen Drei Könige bescherten Erwachsenen wie Kindern frohe Feste mit vielen Geschenken, und die Restaurants in den großen Städten waren wieder einmal brechend voll. Man war versucht zu glauben, daß das Wort „Krise“ keinesfalls existiert, zumindest nicht auf der Iberischen Halbinsel. 

Aznar legte Ehrenvorsitz der PP nieder

Während in Madrid, Barcelona und in den anderen Metropolen eine verschwenderisch glitzernde Weihnachtsbeleuchtung ihre Lichter auf die Einkaufsstraßen warf, verkündeten die Nachrichtensprecher im Fernsehen und in den Rundfunkanstalten, daß die Arbeitslosigkeit wieder einmal zurückgegangen sei und einen neuen, absoluten Tiefststand erreicht habe. In der Tat – im abgelaufenen Jahr verringerte sie sich von 22,08 auf 19,4 Prozent. Auf dem Höhepunkt der wirtschaftlichen Talfahrt (2013) hatte sie noch 26,1 Prozent betragen – ein Rückgang von 6,7 Prozentpunkten in von zwei Jahren, das ist in der Tat eine stolze Leistung. Die weiteren Aussichten sind blendend. Madrid erwartet im neuen Jahr ein Wirtschaftswachstum von  drei Prozent, das ist beispielhaft für die gesamte EU. Und die Bevölkerung weiß, wem sie das zu verdanken hat.

Einer aktuellen Umfrage der renommierten Tageszeitung El Mundo zufolge konnten Rajoy und sein konservativer Partido Popular ihren Stimmenanteil gegenüber der letzten Parlamentswahl  im Juni 2016 steigern – um 1,8 Prozent auf nun 34,8. Auch der Regierungschef persönlich legte in der Wertschätzung seiner Landsleute zu, wenn auch nur geringfügig – der bärtige und knöcherne Politiker aus dem spanischen Norden ist alles andere als ein Charismatiker, und der radikale Sparkurs seiner Regierung hat ihm in nahezu allen Bevölkerungsschichten Feinde gemacht.

Rajoy ist ein geschickter Politiker. Frühzeitig hat er die Weichen gestellt, um auf die Sozialisten zugehen zu können, denn im Parlament ist er auf ihre Unterstützung angewiesen. Weite Teile der Partei tragen seinen Richtungswechsel von Mitte-Rechts ins Zentrum ohne zu murren mit, aber dennoch gibt es Strömungen, die die Neuausrichtung des Partido Popular alles andere als gutheißen. Die wohl schrillste Stimme diesbezüglich ertönte kurz vor Weihnachten – in einem offenen Brief kündigte der frühere konservative Regierungschef José María Aznar der PP-Führung die Gefolgschaft auf. Er trat von seinem Amt als Ehrenvorsitzender der Partei zurück.

Das Verhältnis zwischen Rajoy und Aznar galt schon seit langem als angespannt. Nachdem Aznar aus der aktiven Politik ausgeschieden war (2004), leitete er die konservative Denkfabrik FAES und geriet immer mehr in Widerspruch zur Politik Rajoys – er kritisierte die Wirtschaftspolitik, die Reaktion auf die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens, die ihm viel zu milde ausfiel, sowie Teile der Außenpolitik. Alles in allem vermißte er „ein klares politisches Projekt“ im Kabinett Rajoy. Der nun erfolgte Paukenschlag ließ die einflußreiche Tageszeitung El Pais die Frage stellen: „Gibt es neben der PP Platz für eine rechte Partei?“ Man darf gespannt sein, welchen Weg der ehrgeizige 63jährige Politiker künftig gehen wird. 

Während es innerhalb der Regierungspartei  nur mehr oder minder rumort, geht es bei den Sozialisten (PSOE) drunter und drüber. El Mundo kleidete ihre gegenwärtige Situation in ein aussagekräftiges Bild: „Sie treiben hilflos auf den Wellen, sind Stromschnellen ausgesetzt und suchen verzweifelt nach Rettungsringen.“ Noch immer ist die Partei tief gespalten, ob sie die konservative  Minderheitsregierung in Fragen, die für das Land wichtig sind, unterstützen soll oder nicht. Ihr früherer Generalsekretär Pedro Sánchez ist augenblicklich im Land unterwegs, um den linken Flügel zu mobilisieren. Schafft er es, seinen alten Einfluß zurückzugewinnen, werden die Sozialisten der Regierung jede Gefolgschaft aufkündigen – mit verheerenden Konsequenzen. Sánchez strebt eine Zusammenarbeit mit der linksradikalen Bewegung Unidos Podemos an, die eine ähnliche Politik verfolgt wie Syriza in Griechenland. Sollte sich dieses Projekt verwirklichen, würde sich Spanien – immerhin die viertgrößte Industrienation innerhalb der Eurozone – über Nacht von einem Musterknaben in ein Sorgenkind ersten Ranges verwandeln.

Gemäßigte Sozialisten auf Erfolgsspur

Trotz der internen Machtkämpfe ist es den Gemäßigten in der PSOE  gelungen, das, was weite Teile der Bevölkerung von ihr verlangen, nämlich Verantwortung für das große Ganze mit zu übernehmen, teilweise in praktische Politik umzusetzen. In der Sozialpolitik einigte sie sich mit der Regierung, Familien, die in Armut leben, die Stromkosten zu erlassen; außerdem sollen die vom Staat auferlegten Kosten in diesem Jahr nicht steigen. Fortschritte gibt es in Fragen der geplanten Rentenreform, der Justizreform, beim Erziehungspakt und im Kampf gegen männliche Gewalt in den Familien. Vor allem den beiden Fraktionssprechern von PP und PSOE, die zufälligerweise noch den gleichen Nachnamen Hernando tragen, wird ein gutes persönliches Verhältnis nachgesagt. „Öffentlich gehen die beiden wie Kampfhunde aufeinander los, im privaten Bereich sind sie ausgesprochen herzlich miteinander“, heißt es in Madrid.

Die beiden parlamentarischen Neulinge – Unidos Podemos und die bürgerlichen Ciudadanos – konnten ihre Stellung behaupten. Podemos gelang es sogar, obwohl auch sie von heftigen Richtungskämpfen erschüttert wird, seinen Stimmenanteil von 21,1 Prozent im vergangenen Juni auf nun 22,5 Prozent leicht zu erhöhen; sie ist damit zweitstärkste Fraktion im Parlament, an dritter Stelle rangierten die Sozialisten mit 19,4. Die Ciudadanos kommen auf 12,6 Prozent (Juni 2016: 13,1 Prozent).