© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/17 / 13. Januar 2017

Die Post ist „E“ da
Fahrzeugindustrie: Elektroautos sind nichts für Privatkunden, aber ideal für den innerstädtischen Lieferverkehr
Peter Dettnert

Für eine Million „Geflüchtete“ brauchte Angela Merkel kaum mehr als ein Jahr. Die eine Million Elektroautos, die die Kanzlerin 2008 ankündigte, werden 2020 aber definitiv nicht auf deutschen Straßen rollen. Da hefen weder Mogelei – Benziner und Diesel mit Zusatzbatterie für weniger als 50 Kilometer elektrisches Rollen (Plug-in-Hybride) zu E-Autos zu erklären – noch 3.000 bis 4.000 Euro Kaufprämie. Dabei sind in Deutschland schon hundert entsprechende Fahrzeugmodelle im Angebot, doch bis 1. Januar hat das für die E-Subvention zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle nur 9.023 Förderanträge erhalten.

Die Bundesregierung hat für den „Umweltbonus“ Steuergelder für 300.000 Fahrzeuge im Haushaltsplan vorgesehen – doch lediglich 4.403 Privatkäufer griffen bislang zu. 4.620mal ging die Prämie an Firmen, Vereine oder öffentliche Autokäufer. Viel zu teuer, geringe Reichweite, kaum Stromtankstellen, lange Akkuladezeiten, prinzipiell schwere Autos mit eingeschränkem Kofferraum – die Gründe für die Käufer­skepsis sind bekannt. Daher waren von den 3,35 Millionen 2016 neu zugelassenen Pkws nur 11.410 (0,34 Prozent) elektrische. Merkels gepriesene E-Autos sind bestenfalls Drittfahrzeuge für Technikfreaks oder Eigenheimbesitzer mit Garage und üppigem Einkommen.

Sinnvolle Elektrifizierung des neuen Fahrzeugparks

Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) drohte daher nun in der Stuttgarter Zeitung eine „Elektroquote“ an: Das würde die Autohersteller „dazu bewegen, endlich Modelle anzubieten, die für Normalverdiener erschwinglich sind“. Doch dabei geht es auch ganz ohne Staatsgewalt. Die Deutsche Bahn hat bislang fast 60 Prozent ihrer Strecken elektrifiziert, bei den Schweizerischen Bundesbahnen sind es 100 Prozent. Zudem gibt es über zwei Millionen Elektrofahrräder in Deutschland – Tendenz steigend und dabei ganz ohne Subventionen. Auch die knallhart kalkulierende Deutsche Post AG sieht Vorteile in der Elektrifizierung ihres Fahrzeugparks: Mit dem „Street­scooter – Work“ stellte sie voriges Jahr ein für den Innenstadtbereich eigens entwickeltes elektrisch angetriebenes Transportfahrzeug vor. Damit ist die Post nun sogar Autobauer für Spezialfahrzeuge.

Aber welche Strategie steckt dahinter? Das Unternehmen, das sich durch Zukäufe wie DHL (2002) zum weltgrößten Logistik- und Postunternehmen entwickelt hat, steht durch die enorme Zunahme des Warenversands – von Amazon bis Zalando – vor großen Herausforderungen. Dabei stellt die Zustellung auf der „letzten Meile“, also die Belieferung des Endkunden gerade in Städten ein besonderes Problem dar. Dafür setzt die Post deutschlandweit derzeit über 30.000 Fahrzeuge ein.

Mit Blick auf das Jahr 2026 wurde daher ein Anforderungsprofil erstellt, das wirklich alles beinhaltete: ein Flottenmanagement mit bezahlbarer Elektromobilität, Berücksichtigung der politisch geforderten CO2-Einsparung, Erhöhung und Optimierung des Nutzvolumens, wirtschaftliche Produktion, Berücksichtigung von Wünschen wie bequemes Ein- und Aussteigen, ausreichend Bodenfreiheit, Kameras, Wartungs- und Reparaturfreundlichkeit. Das Auswechseln einer Scheinwerferlampe dürfe nicht länger als 15 Minuten dauern. Die Fahrertür soll einem Öffnungszyklus von einer Million standhalten, die Ladetüren von 250.000mal.

Doch kein Fahrzeugbauer zeigte ernsthaftes Interesse, ein Postzustellauto nach den geforderten Eigenschaften rasch zu bauen: Bei VW peilte man mit dem Konzeptmodell „eT!“ das Jahr 2020 an. Dabei hatten die Wolfsburger mit dem Fridolin (Benziner, Typ 147 auf Käferbasis), der von 1964 bis 1974 gebaut wurde, schon einmal ein bewährtes Angebot. Der Konkurrent UPS fährt mit eigens zugeschnittenen Diesel-Lieferfahrzeugen, basierend auf Mercedes-Sprinter und Iveco-Plattformen. Nur etwa 50 davon wurden bislang in Kleinserie von der Elektro-Fahrzeuge Schwaben (EFA-S) auf E-Antrieb umgebaut.

2008 entschied der Post-Vorstand daher, ein Zustellfahrzeug selbst herzustellen. Eng arbeitete man dabei mit der Streetscooter GmbH zusammen, einer 2010 von Achim Kamper und Günther Schuh gegründete privatwirtschaftlich organisierte Forschungsinitiative an der RWTH Aachen, die zusammen mit 80 mittelständischen Firmen und zahlreichen Forschungseinrichtungen das erste Elektrofahrzeug ausdrücklich für den Kurzstreckenverkehr entwickelte.

Die Post ist mit ihrer Lieferflotte praktisch autark

Im Frühjahr 2011 wurde der erste Prototyp („Concept Zeitgeist“) der Öffentlichkeit vorgestellt. 2012 folgte das Post-Zustellfahrzeug „Work“. 2014 kaufte die Post das Unternehmen. Mit 150 Fahrzeugen wurde der Vorserientest gestartet. 2015 begann die Serienproduktion. 500 Mitarbeiter sind hier in Aachen mittlerweile beschäftigt. 2016 verkündete die Post öffentlich, mittelfristig ihre gesamte Verteilerflotte auf Elektromobilität umzustellen – vom Briefträgerfahrrad bis zum großen Pakettransporter „Work L“ – und diese Fahrzeuge selbst zu bauen. Das war besonders für den langjährigen Hauslieferanten VW ein Schock. Es klingt auch unglaublich: Von der Idee bis zur Serienproduktion sieben Jahre und bei Einhaltung der notwendigen Zertifikate als Premium-Kurierdienstleister.

„Der Stolz der deutschen Autoindustrie ist nicht nur angekratzt, die Post hat denen ganz schön die Füße aufgeblasen“, sagt ein Branchenkenner. „Es ist ja nicht nur die Entwicklung und der Bau der Fahrzeuge. Es ist das Gesamtkonzept: der Nutzung, der Wartung und der Lebensdauer von bis zu acht Jahren. Die Post ist mit ihrer Flotte praktisch autark. Tagsüber fahren die Fahrzeuge, nachts werden sie geladen und gewartet.“ Im Verhältnis zu einem herkömmlichen Dieselfahrzeug ist der Aufwand deutlich geringer: Kein Getriebe, keine Kupplung, die Motorbremse lädt den Akku auf und erhöht so gleichzeitig die Lebensdauer der Bremsanlage.

VW-Chef Matthias Müller klagt, die Kunden würden keine E-Mobilität nachfragen. Warum? Weil Privatleute kein teures Fahrzeug für nur 100 bis 200 Kilometer Reichweite wollen. Aber Postautos fahren effektiv lediglich 40 Kilometer täglich. Doch dafür haben VW & Co. kein passendes und erschwingliches Elektrofahrzeug im Angebot – und deshalb gibt es die Streetscooter GmbH.

Im dritten Quartal 2016 mußte das Unternehmen mitteilen, daß sich die Auslieferung des „Work L“ (Langversion mit einer Tonne/acht Kubikmetern Kapazität für 150 Pakete) verzögert, da die Produktion des „Work“ auf Hochtouren läuft und alle Kapazitäten ausgeschöpft sind. Zudem läuft weiter die Produktion der elektrischen Post-Fahrräder („E-Bike“) und Dreiräder („E-Trike“), die Platz für bis zu sechs Briefbehälter mit bis zu 90 Kilogramm Nutzlast bieten.

Streetscooter bietet auch Kommunen, Städten und Behörden ein allumfassendes Flottenmanagement an. Viele Fahrzeuge von Ordnungs- oder Gartenbauamt (Prototyp „Work Orange“) ließen sich „elektrifizieren“ und über Nacht bei der Post aufladen. Von Polizeifahrzeugen wird Streetscooter sicher die Finger lassen: Die 44 Mercedes- und Renault-Streifenwagen mit 150 Kilometern realistischer Reichweite, die die sächsische Polizei im Sommer 2016 erhielt, sind meist mehr an der Steckdose als im praktischen Einsatz.

StreetScooter GmbH Aachen:  www.streetscooter.eu