© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/17 / 13. Januar 2017

Lieber tiefgekühlt statt unter der Erde
Kryonik: Vor fünfzig Jahren ließ sich der erste Mensch in einem Behälter mit flüssigem Stickstoff einlagern
Wolfgang Kaufmann

Im Jahre 1964 veröffentlichte der US-amerikanische Physikdozent Robert Ettinger ein Buch mit dem Titel „The Prospect of Immortality – Die Aussicht auf Unsterblichkeit“. In diesem Werk heißt es eingangs: „Wir müssen nur dafür sorgen, daß unsere Körper nach unserem Tod in entsprechenden Kühltruhen gelagert werden, bis eine Zeit gekommen ist, in der die Wissenschaft uns helfen kann.“ Damit legte Ettinger das Gründungsmanifest der Kryonik-Bewegung vor, durch welches er den Fernsehmechaniker Robert Nelson dazu inspirierte, die Cryonics Society of California aus der Taufe zu heben. Und genau diese Organisation war es dann auch, die erstmals einen „suspendierten“ und „deanimierten“ Menschen auf die „Reise in die Zukunft“ schickte.

Den Part des „Kryonauten“ übernahm dabei James Bedford, der am 12. Januar 1967 mit 73 Jahren an Nierenkrebs verstarb. Der Leichnam des Psychologieprofessors wurde unmittelbar nach Eintritt des Todes von Nelson und dessen Mitstreiter Robert Prehoda sowie den Ärzten Renault Able und Dante Brunol auf –196° C abgekühlt und anschließend in einem Behälter voll flüssigem Stickstoff eingelagert.

Allerdings erwies sich Nelson, der in der Folgezeit noch neun weiteren Personen zur „Unsterblichkeit“ verhalf, als kein guter Sachwalter der Interessen seiner „Klienten“: Als ihm das Geld ausging, ließ er die Toten einfach wieder auftauen, bis das im wahrsten Sinne des Wortes ruchbar wurde. Einzig der Leichnam von Bedford blieb unversehrt, weil der Sohn des „Kryopatienten“ persönlich für die sachgemäße Lagerung gesorgt hatte. Danach erlebte der Eingefrorene eine Odyssee durch insgesamt fünf einschlägige Institute, bis er schließlich 1982 in Obhut der Alcor Life Extension Foundation in Scottsdale (Arizona) kam, wo der erste „Kryonaut“ noch heute kopfüber in einem Dewar-Tank hängt und auf seine „Heilung“ wartet.

Dauerhafte Lagerung ist in Deutschland verboten

Alcor ist mittlerweile der unbestrittene Marktführer auf dem Sektor der Kryokonservierung, gefolgt vom Cryonics Institute in Clinton Township (Michigan) und KrioRus in Moskau. Hingegen gibt es in der Bundesrepublik keine vergleichbare Institution, denn hierzulande verstößt die dauerhafte Lagerung von eingefrorenen Leichen gegen den gesetzlichen Friedhofszwang.

Dennoch gehören auch Deutsche zu den weltweit etwa 2.000 Anwärtern auf „Krankentransporte in die Zukunft“. Einer davon ist der renommierte Altersforscher Klaus Sames aus dem bayerischen Senden. Der hofft nach seinem Tode auf die schnelle „kryonische Erstversorgung“ durch den in Wohnortnähe ansässigen und vorab instruierten Bestatter und Einbalsamierer Markus Maichle. Anschließend müßte dann freilich die Überführung in die USA oder nach Rußland erfolgen, weil nur dort eine Langzeitlagerung gewährleistet wäre.

Das ist für Kryoniker natürlich kein sonderlich befriedigender Zustand, weshalb sich die 2006 gegründete Deutsche Gesellschaft für angewandte Biostase auf die Fahnen geschrieben hat, über kurz oder lang ähnliche Institute wie Alcor oder Cryonics in Mitteleuropa zu eröffnen – und zwar dort, wo die juristischen und technischen Rahmenbedingungen am „kryonikfreundlichsten“ sind.

Wer sich bis dahin in den USA oder Moskau auf Dauer in flüssigem Stickstoff einlagern lassen will, muß mit Kosten zwischen 27.000 und 150.000 Dollar für das Konservieren des kompletten Körpers oder 7.000 bis 60.000 Dollar für die „Neuropräservation“ des abgetrennten Kopfes rechnen. Anhänger der letzteren Variante hegen dabei die Hoffnung, daß die Bewußtseinsinhalte im Gehirn später auf einen Klon oder technische Medien überspielt werden können.

Tatsächlich eingefroren wurden in den letzten fünfzig Jahren freilich nur an die 250 Personen. Diese nicht sehr hohe Zahl resultiert zunächst aus dem Fehlen eines würdigen Bestattungsrituals und der wenig pietätvollen Aufbewahrung der Toten. Außerdem gibt es erhebliche medizinische Bedenken. Zwar wird seit 2001 die modernere Methode der Vitrifizierung mittels der Lösung Supercool (enthält unter anderem Dimethylsulfoxid, Formamid und Ethylenglykol) angewandt, welche die Bildung von Eiskristallen verhindert, die den Körper irreparabel schädigen können. Jedoch ist dieses Gemisch hochgiftig. Gleichzeitig kommt es trotzdem zu makroskopischen Brüchen im Gewebe. Hier hoffen die Kryoniker aber auf revolutionäre Fortschritte in der Nanotechnologie: Miniroboter könnten dann die Blessuren von innen reparieren.

Aus der Sicht von Gegnern des Verfahrens wie dem früheren Leiter des kryobiologischen Instituts von New York, Arthur C. Rowe, handelt es sich bei der Kryonik um Scharlatanerie und Geldschneiderei im futuristischen Gewand: „Unsterblich“ könne schließlich nur der werden, welcher kräftig dafür zahle. Darüber hinaus machen aber auch die Kirchen und Religionsgemeinschaften massive Einwände geltend. So weisen sie darauf hin, daß die Vergänglichkeit des Menschen ein von Gott gewolltes Phänomen sei, das jeder zu akzeptieren habe.

Biologische Emanzipation von der Natur

Tatsächlich liegt im Einfrieren etwas provokant Aufklärerisches: Während die Religionen eine Auferstehung im Jenseits infolge göttlicher Gnadenakte verheißen, nehmen die „Kryonauten“ ihre Bestimmung in die eigene Hand und verabschieden sich so aus der Unmündigkeit des Gläubigen. Die Konsequenz hieraus ist natürlich eine Verlagerung des Paradieses ins Diesseits. Das letztere verliert seinen Charakter als „irdisches Jammertal“, dem man mit hinreichender Glaubensfestigkeit entkommen kann, und mutiert zur finalen Destination des Menschen – danach wartet dann nur noch das Nichts. Genau deshalb müssen sich die Kryoniker unbedingt an ihre diesseitige Existenz klammern.

Darüber hinaus geht es den Epigonen Bedfords und Ettingers (der sich selbstverständlich ebenfalls für das Einfrieren entschied) aber auch um eine biologische Emanzipation gegenüber der Natur, weshalb wohl viele Anwärter auf die Kryokonservierung Naturwissenschaftler sind. So heißt es in einer Broschüre von Alcor: „Wir werden kein hilfloses Vieh mehr sein, das sich von einem gleichgültigen Universum zur Schlachtbank führen läßt.“

Kritiker halten dem wiederum entgegen, daß der rasante Bevölkerungszuwachs es kaum erstrebenswert mache, immer länger zu leben und dabei noch wertvolle Ressourcen für das Einfrieren und Auftauen in Anspruch zu nehmen – das sei letztendlich gegen die Interessen der menschlichen Spezies gerichtet. Zudem werde diese sehr egoistische Form der Todesverdrängung doch sowieso nicht die erhofften Ergebnisse bringen – also solle man das Ganze lieber gleich lassen.

Das sehen vom Schicksal Geschlagene wie die 23jährige US-Studentin Kim Suozzi, die sich nach ihrem frühen Ableben aufgrund einer unheilbaren Krankheit bei Alcor „kryonisch versorgen“ ließ, allerdings deutlich anders: „Ich finde es besser, auf den Fortschritt zu wetten, als zu verwesen.“ Und der „Vater der Kryonik“ Ettinger meinte kurz vor seinem Tod im Alter von 92 Jahren, die Tiefkühltruhe erscheine ihm „unbedingt attraktiver als das Grab“.