© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/17 / 13. Januar 2017

Dorn im Auge
Christian Dorn

Morgenstund hat Gold im Mund. Diese Weisheit bewahrheitet sich wieder mal, als ich frühmorgens im Deutschlandfunk die neueste Aufregung um die multikulturelle Bereicherung höre. Noch im Halbschlaf kommt mir unwillkürlich folgende Regel in den Sinn: „Der Nafri und das Mihigru / wandern ganz natürlich zu.“ Tage später im Café, am Nebentisch, sieht die Welt schon wieder anders aus. Zwei Paare, deren Partner alle in der Musik- und Medienbranche tätig sind, echauffieren sich über eine Galeristin, die bei einer Veranstaltung mit Flüchtlingen in aller Öffentlichkeit ein unvorstellbares Sakrileg begangen habe mit der Äußerung, es werde ja manchmal „auch zu viel mit all den Ausländern“. Gemeinsam überlegen sie, wie dieser „Gutmensch“ am besten zu maßregeln sei. Als nächstes aber, so das eine Paar, stehe bei ihnen „ein deutsches Essen für Geflüchete“ an, „so ein richtiges Weihnachtsessen“. Da fällt ihr ein: „Ah, wir müssen dafür noch Wunderkerzen organisieren.“ Praktischerweise gäbe es die jetzt im Sonderangebot. Danach gehe es nach Abu Dhabi, wo der „beste Jazz-Club“ zu finden sei.


Derweil erklärt im Deutschlandfunk-Interview die deutsche Jazzmusikerin Jessica Gall auf Nachfrage der Moderatorin, sie habe ihr neues Album „Picture Perfect“ zum Glück noch vor der Wahl Trumps fertiggestellt. Sonst hätte sie die Produktion wohl nicht zu Ende gebracht. Mir scheint obdessen, daß die derzeit geführten Interviews mit Künstlern an die parteiliche Interviewführung in den DDR-Medien erinnern, als sich sämtliche Gesprächspartner, selbst die aus dem Westen, obligatorisch zur Friedenspolitik der DDR zu äußern und den kriegstreiberischen Imperialismus zu verurteilen hatten. In der Unterhaltung mit einer Bekannten, die gerade an einem Kinderbuch schreibt, spreche ich die groteske Hysterie wegen der Wahl Donald Trumps an. Wie zum Beweis erzählt sie mir mit unbekümmerter Miene, sie habe ihren Kindern, als diese fragten, vereinfachend erklärt: „Na der Trump ist so schlimm wie Hitler.“


Unter dem Motto „Perfect Picture“ erinnere ich mich an den Bericht eines Freundes, dessen Freundin Ende der achtziger Jahre eine Villa Trumps in Küstennähe nutzen durfte. Da die angrenzenden Besitzer Trump den Zugang zum Strand verweigerten, baute dieser einen Tunnel. Für die Besucherin muß es ein Fluchtweg gewesen sein: Gemäß Petersburger Hängung war in Trumps Villa jede Wandfläche mit Bilderrahmen vollgepflastert, die Titelseiten und Portraits des Besitzers aus diversen Printmedien zeigten.