© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/17 / 13. Januar 2017

Mitteilungen vom Nichts
Der Wissenschaftsjournalist Peter Watson läßt die Gotteskritik der letzten 150 Jahre Revue passieren
Felix Dirsch

Der Publizist und langjährige Wissenschaftsjournalist Peter Watson hat sich als Kultur- und Ideenhistoriker von Rang einen Namen gemacht. Büchertitel wie „Das Lächeln der Medusa“, „Ideen“ oder „Der deutsche Genius“ erreichten ein größeres internationales Publikum. Watson schreibt für eine anspruchsvolle Leserschaft, jedoch setzt er keine Fachkenntnisse voraus. Nun hat er ein neues Werk vorgelegt, das einen Bogen schlägt von Friedrich Nietzsche bis Richard Dawkins. „Das Zeitalter des Nichts“ legt seinen Schwerpunkt auf namhafte Religionskritiker aus unterschiedlichen Disziplinen.

Seit der Antike existiert ein breiter Strom von Religionskritik. Im 19. Jahrhundert versucht sie erstmals, mit wissenschaftlichem Anspruch die Existenz Gottes zu widerlegen. Ludwig Feuerbach und der sich emphatisch auf ihn berufende Karl Marx präludieren. Nietzsche ist in vielfältiger Hinsicht ihr Erbe. Sein „Gott ist tot“-Ruf hallt bis in unsere Zeit nach. Im Gegensatz zu vielen heutigen Verächtern der Transzendenz dekliniert der Pfarrerssohn die Konsequenzen dieser einschneidenden Festlegung akribisch durch. Die Verzweiflung, die ob der Folgen auftaucht, zwischen den Zeilen ist weder zu übersehen noch zu überhören.

Heimatlosigkeit ohne die Sehnsucht nach Religion

Viele Diskurse über Religion in Kunst, Literatur, Theologie, Philosophie und in anderen Bereichen werden berücksichtigt. Der erzählerisch begabte Autor versteht es, seine Rezipienten zu fesseln. Man ahnt, wie zentral der Faktor Religion für viele Schriftsteller ist, bei denen man es gar nicht ahnt. Stellvertretend für viele seien in dieser Hinsicht Virginia Woolf, Marcel Proust, Henry und William James, Rainer Maria Rilke und Anton Tschechow genannt.

Sicher darf man sich bei Watson, wie man ihn von seinen bisherigen Schriften kennt, keine systematische Abhandlung erwarten. Wer eine solche Vorgehensweise bevorzugt, sei auf die klassischen Untersuchungen von Fritz Mauthner über den „Atheismus und seine Geschichte im Abendlande“ sowie von Georges Minois über die „Geschichte des Atheismus“ verwiesen. Watson steht seinem Gegenstand, aller kritischen Untertöne zum Trotz, weithin wertfrei gegenüber.

Die Stärke der Erörterungen liegt darin, daß sie fundamentale Religionskritik, wie sie Freud vertritt, neben einen pragmatischen Umgang mit den entsprechenden Phänomenen stellt, wie ihn etwa dessen Schüler C. Gustav Jung und John Dewey pflegen. Jung beklagt den Materialismus und die Heimatlosigkeit der modernen Welt, ohne die Rückkehr in den Schoß der Kirche zu empfehlen. In der Philosophie sieht es nicht anders aus: Der säkulare Humanist Bertrand Russell vertritt eine seinem Schüler Wittgenstein entgegengesetzte Meinung. Letzterer will das große Geheimnis – gleich einem Mystiker – wortlos verehren. Ebenso wird das religiöse wie antireligiöse Denken der Psychologie aufgeblättert. Auch entsprechende Kontroversen im Nationalsozialismus wie im Bolschewismus werden nicht ausgespart.

Intensiv widmet sich der Verfasser der anregenden Debatte über Religion seit der Jahrtausendwende. Der konservative deutsche Papst Benedikt XVI. repräsentiert den einen Pol, der britische Darwinist, Wissenschaftsmilliardär und „fundamentalistische Atheist“ Richard Dawkins den entgegengesetzten. Dazwischen sind Denker wie Jürgen Habermas, Ronald Dworkin, Thomas Nagel, oder Richard Rorty einzuordnen. Deren Beiträge sind in vielerlei Hinsicht ein Echo Nietzsches. Seit dessen so wirkmächtiger Wortmeldung darf Gott endgültig als der ganz Andere, völlig Unbenennbare, Entrückte gelten. Hier schließt sich der Kreis. Watson hat erneut ein respektables Stück Geistesgeschichte der letzten 150 Jahre vorgelegt. 

Peter Watson: Das Zeitalter des Nichts. Eine Ideen- und Kulturgeschichte von Friedrich Nietzsche bis Richard Dawkins. Verlag C. Bertelsmann, München 2016, gebunden, 768 Seiten, 29,99 Euro