© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/17 / 20. Januar 2017

Amtsantritt des US-Präsidenten
Die neuen Transatlantiker
Dieter Stein

An diesem Freitag wird Donald Trump als neuer US-Präsident vereidigt. Die Schockstarre, in der die politische Klasse Europas seit der Wahl im November verharrt, hat sich noch immer nicht gelöst. Manche halten sich die Hände vor das Gesicht und glauben, wenn sie sie nach dem 20. Januar abnehmen, habe sich Trump vielleicht als schlechter Traum in Luft aufgelöst.

Ein von Bild und der Londoner Times geführtes Interview mit Donald Trump zerstreute auch aufgekeimte Erwartungen, der gewählte Präsident werde sich durch die Gravität des Amtes und Berater verwandeln und als handzahm entpuppen. Im Gespräch bekräftigt Trump jedoch, daß er nicht daran denkt, etwas an seinem Stil ändern zu wollen.

Jahrzehnte spielte Amerika für Europa die Rolle des progressiven Vorreiters: Die amerikanische Bürgerrechtsbewegung, Musik, Kinofilme, die sexuelle Revolution öffneten Türen sperrangelweit, die die 68er nicht mehr einzurennen brauchten. Die USA waren der sanfte Hegemon, unter dessen Atomwaffenschirm sich die Bundesrepublik sicherheitspolitisch bequem einrichtete. So bequem, daß sie nun nackt dasteht, wenn Trump sich von der „universalistischen Mission“ (Richard Herzinger besorgt in der Welt) verabschiedet, die Nato als überkommenes Bündnis bezeichnet und daran erinnert, daß Deutschland keinen ausreichenden Verteidigungsbeitrag im Bündnis leistet.

Trump hat kein Interesse, die Fehler vorangegangener Regierungen zu wiederholen und weiter den Weltpolizisten zu spielen. Die abenteuerliche US-Interventionspolitik im Irak unter Bush verwirft Trump schnörkellos als Desaster, man habe „Steine in ein Bienennest“ geschmissen. In außergewöhnlich undiplomatischer, dadurch nicht weniger sympathischer Form erteilt der künftige US-Präsident den wirtschaftlich starken, aber politisch impotenten Europäern Kopfnüsse. Der Präsident einer, wie es das linksliberale Establishment gern hätte, Führungsmacht des Kosmopolitismus und der Multikulturalität ruft den Nationen der Alten Welt in Erinnerung: Die Länder und „die Völker wollen ihre eigene Identität.“  Er wiederholt, daß Merkels Asylpolitik ein „katastrophaler Fehler“ und der Tropfen war, der bei den Briten das Faß für den Brexit zum Überlaufen brachte.

Die Trump-Wende bedeutet für das EU-Establishment nichts weniger, als habe jemand metapolitisch den transatlantischen Golfstrom umgekehrt. Wir erleben ein Ende der Sentimentalitäten, eine Rückkehr zur Politik von Interessen, der Demonstration und Verteidigung nationaler Souveränität. Für Deutschland heißt das, sicherheits- und außenpolitisch erwachsen zu werden und gemeinsame Interessen mit den USA neu zu definieren. Transatlantische Politik wird damit einen ganz neuen Charakter erhalten.