© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/17 / 20. Januar 2017

Shumona Sinha. Die Erfolgsautorin rechnet gnadenlos mit der „Willkommens“-Realität ab
Fabrik der Lügen
Michael Paulwitz

Erschlagt die Armen“ – eine Baudelaire-Zeile steht über dem zweiten Roman der aus Kalkutta stammenden französischen Schriftstellerin Shumona Sinha, für den sie mit internationalen Ehrungen überhäuft wurde. Viel Ruhm für eine gnadenlose Abrechnung mit der Asylindustrie, der „Fabrik der Lügen“, dem „Parasiten am Körper des Wirts“, die so drastisch wohl nur üben kann, wer den Betrieb von innen kennt und selbst Einwanderer ist.

Nun ist das Buch als Stück im Hamburger Thalia-Theater auf die Bühne gekommen. Seine deutsche Ausgabe erschien im Willkommensherbst 2015 zur rechten Zeit. Sinhas literarisches Alter ego – wie die Autorin aus Liebe zur Sprache nach Frankreich gekommen und zeitweise Dolmetscherin bei der Asylbehörde – fürchtet im endlosen Asylansturm, der „steigenden Flut aus Geflüster, Gemurmel und Geschrei“, zu ertrinken. Aus Wut und Ekel schlägt sie einen zudringlichen Einwanderer mit einer Rotweinflasche nieder.

Mit den asylfordernden Elendsmigranten aus dem „Land aus Lehm“ verbindet Sinha, die 1973 geborene Tochter aus gebildetem Hause, die schon mit 17 einen Literaturpreis gewann und 28jährig als Lehrerin nach Paris gekommen war, kaum mehr als die dunkle Hautfarbe. Ihr anderes Kalkutta mit seiner reichen kulturellen Tradition verewigt sie in ihrem neuen, dritten Roman. Ihre Heimat sei weder Indien noch Frankreich, sondern die französische Sprache, beschreibt sie die Zerrissenheit des kulturell integrierten Einwanderers.

Das verlogene Asylgeschäft widert sie an. Alle lügen: Die Asylanten – die „Zwerge“, die „ungeliebten Quallen“ –, die sich „an fremde Ufer“ werfen und, mit Zwiebeln in der Tasche für die Tränen, groteske Märchen von fiktiver politischer Verfolgung, angeblichem Christentum und erfundener Vergewaltigung erzählen. Die Gutmenschen in Mutter-Teresa-Pose, die Einwanderer und Multikulti-Slums verklären. Skrupellose Asyl-Anwälte, die Dolmetscher nötigen, so zu „übersetzen“, daß Richter die Lügengeschichten glauben. Sympathie hat sie allenfalls für die Beamten, die auf verlorenem Posten um die Einhaltung der Regeln kämpfen. Die reale Shumona Sinha wurde nach der Veröffentlichung als Dolmetscherin gefeuert, weil sie ihren Text nicht zur Genehmigung vorgelegt habe.

Soll man Armutseinwanderung befristet zulassen, um den für alle entwürdigenden Asylmißbrauch überflüssig zu machen? Auch die Autorin, in ihrer Jugend, wie ihr Vater, bekennende Kommunistin, deutet das zur Erleichterung der Feuilletonisten an. Oder man nimmt Baudelaires titelgebendes Prosagedicht beim Wort: Nicht herablassende Sozialfürsorge, sondern schroffe Zurückweisung gibt dem Armen den Stolz zurück, weil sie ihm demütigendes Betteltheater und Selbstentwurzelung erspart. Der Spiegel, den Shumona Sinha ihnen vorhält, ist für die Willkommensheuchler und Asylgewinnler zu grell.