© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/17 / 20. Januar 2017

Der Reparaturbetrieb der EZB
Immobilienmarkt: Neue Regulierungen zur Abwehr von Gefahren für die Stabilität des Finanzsystems
Dirk Meyer

Die Folgen der „außergewöhnlichen“ Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) sind unübersehbar. Zwar wurde das Inflationsziel von knapp unter zwei Prozent bislang nicht erreicht. Demgegenüber gibt es jedoch Anzeichen, daß die umfängliche Liquiditätsausweitung eine Vermögenspreisinflation verursacht. So sind die Preise für Wohneigentum in Deutschland gegenüber dem Vorjahr weiter angestiegen. Ein Zinsanstieg bei zeitgleichem Rückgang der Immobilienpreise könnte Kreditnehmer bei Anschlußkrediten vor Probleme stellen und eine Krise im Immobilien- und Kreditmarkt auslösen. Diese Risiken haben den Gesetzgeber auf den Plan gerufen.

Nachdem die neuen Regeln zur Kreditvergabe durch das Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie vom 11. März 2016 in der Kredit- und Immobilienwirtschaft sowie beim Bundesverband der Verbraucherzentralen bereits erhebliche Kritik hervorgerufen haben (JF 42/16 und 44/16), sorgt ein Kabinettsbeschluß der Bundesregierung vom 21. Dezember 2016 bezüglich eines Gesetzentwurfes zum Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz (FinErg Wohn) erneut für Aufsehen.

Kernpunkt der schon eingeführten Neuregelung durch die EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie ist eine De-facto-Entwertung der Grundschuldeintragung, indem die Kreditwürdigkeitsprüfung zentral an die Person des Kreditnehmers knüpft. Der Grundsatz, daß die Rückzahlfähigkeit des Kredites während der Laufzeit sichergestellt sein muß (Paragraph 505b Absatz 2 BGB) hat einige Personengruppen besonders getroffen: ältere Personen, speziell Rentner, junge Familien und Selbständige mit schwer kalkulierbarem freien Einkommen und Grenzgänger, deren Einkommen Wechselkursrisiken unterliegen.

Der vorliegende Gesetzentwurf beinhaltet zwei Stoßrichtungen. Zum einen werden einige Kritikpunkte an der allzu restriktiv umgesetzten Wohnimmobilienkreditrichtlinie aufgenommen. So sollen Immobilienverzehrkredite von der Regelung ausgenommen werden, bei denen im Alter der Lebensunterhalt durch ein dinglich besichertes Darlehen geplant wird und im Todesfall die Bank die Immobilie verwerten darf. Außerdem können Wertsteigerungen bei Krediten für Bau- und Renovierungsmaßnahmen berücksichtigt werden. Vorgesehen sind auch Ausnahmen für Anschlußfinanzierungen, die keiner verschärften Prüfung mehr unterliegen sollen. Rechtsverordnungen sollen Leitlinien der Kreditprüfung vorgeben, die unklare Rechtsbegriffe konkretisieren, um Haftungsrisiken aus möglichen Prüfungsfehlern zu vermeiden.

Fragwürdige Wirksamkeit im Krisenfall

Zum anderen werden zusätzliche Vergabekriterien eingeführt, die eine Reaktion auf eine Empfehlung des nationalen Ausschusses für Finanzstabilität vom 30. Juni 2015 sind. Entsprechend wird in der FinErg-Begründung angegeben, neue Befugnisse für die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zu schaffen, „um einer möglichen Gefahr für die Finanzstabilität entgegenwirken zu können, die sich im Zusammenhang mit Überbewertungen auf Wohnimmobilienmärkten, nachlassenden Kreditvergabestandards sowie einer übermäßigen Expansion der Kreditvergabe ergeben kann“. Die Aktivierung der Maßnahmen ist im Krisenfall durch die BaFin vorgesehen, deren Entscheidung auf Analysen der Bundesbank gestützt wird. Entsprechend einem neu einzuführenden Paragraph 48u Kreditwesengesetz sind folgende Maßnahmen vorgesehen:

l eine Obergrenze für das Verhältnis von Darlehenshöhe und Immobilienwert („Beleihungsgrenze“);

l die Vorgabe eines Zeitraumes, in dem ein Anteil der Immobilienfinanzierung zurückgezahlt sein muß, alternativ die Vorgabe einer maximalen Laufzeit (Amortisationsanforderung);

l die Vorgabe einer Obergrenze für die gesamten Zins- und Tilgungsleistungen aller Darlehensverträge bezogen auf das verfügbare Einkommen des Darlehensnehmers (Schuldendienstfähigkeit; Schuldendienstdeckungsgrad);

l die Vorgabe einer Obergrenze für die Gesamtverschuldung bezogen auf das gesamte Einkommen in einem bestimmten Zeitraum (Gesamtverschuldung-Einkommens-Relation).

Da die Maßnahmen erst nach der Feststellung einer (drohenden) Überhitzung des deutschen Immobilienmarktes in Kraft gesetzt werden, stellt sich die Frage der Wirksamkeit als Instrument zur Finanzmarktstabilität. Eine zeitverzögerte Datenerfassung und -bewertung, nicht berücksichtigte Daten aus den anderen Mitgliedsstaaten sowie die ausschließliche Erfassung von Neuverträgen lassen die Wirksamkeit im Krisenfall als fragwürdig erscheinen.

Der Regionalität von Blasen – Entleerungsräume versus Zuzugsräume – wird nicht Rechnung getragen. Es fehlen genaue Aufgriffsnormen zum Tätigwerden der Bafin. Zudem werden Stundungen, Ratenanpassungen und Laufzeitverlängerungen ausgeschlossen, die jedoch seitens der Kreditnehmer notwendig wären, um das Ausfallrisiko zu senken. Darüber hinaus wird die Gesamtsicht des Kreditnahmepotentials eines Haushaltes weiterhin unzureichend berücksichtigt. Die Vermögenslage, bereits bestehende anderweitige Verpflichtungen sowie das Konsumverhalten bleiben bei der Kreditprüfung außen vor.

Fazit: Der FinErg-Entwurf berücksichtigt zwar einige Kritikpunkte, beinhaltet aber weitere planwirtschaftliche Eingriffe in die Vertragsfreiheit und in die Marktsteuerung. Die damit verbundene, sogenannte makroprudenzielle Regulierung ist der „außergewöhnlichen“ Geldpolitik der EZB und den daraus erwachsenen Gefahren für die Finanzstabilität geschuldet. Anders ausgedrückt: Die deutsche Politik wird zum Handlanger einer Zentralbank, die mit der Verbilligung des Kreditzuganges der Krisenstaaten ihre Kompetenzen überschreitet.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie

Mit einem entsprechenden Umsetzungsgesetz wurde die EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie (2014/17/EU) zum 21. März 2016 in deutsches Recht umgesetzt – mit einschneidenden Folgen: Ältere Kreditnehmer, die die Tilgung eventuell nicht zu Lebzeiten schaffen können, junge Familien mit schwieriger Prognose ihrer Einkommensentwicklung, Kinderzahl und Berufstätigkeit des Partners sowie Selbständige, die am Anfang ihrer Firmengründung stehen, bekommen seither nur schwer einen neuen Immobilienkredit. Der Grund dafür ist aber nicht allein die EU-Richtlinie, sondern die bei der Umsetzung von Bundestag und Bundesrat beschlossene Verschärfung. Während etwa in Österreich bei einem Bau- oder Renovierungskredit der jeweilige Immobilienwert weiterhin als Sicherheit einkalkuliert werden darf, wurde dies in Deutschland seither faktisch verboten. Ein neues Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz soll das Problem entschärfen.

Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz: dipbt.bundestag.de