© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/17 / 20. Januar 2017

In die Isolation treiben
Politische Korrektheit: Meinungsabweichler werden immer öfter bei ihren Arbeitgebern angeschwärzt
Thorsten Hinz

Zwei Schläge binnen eines Monats hat der bekannte Journalist Roland Tichy hinnehmen müssen. Im Dezember 2016 war seine Internetplattform „Tichys Einblick“ zusammen mit anderen Alternativmedien zur Zielscheibe eines Gerald Hensel, seinerzeit „Executive Strategy Director Digital“ der Werbeagentur Scholz & Friends, geworden, der im Internet die Aktion „Kein Geld für Rechts“ gestartet hatte. Hensels Rundumschlag scheiterte letztlich an der Menge der Angegriffenen (JF 51/16).

Vor allem hatte er sich mit dem Scharfmaul Henryk M. Broder angelegt, der auf die Versicherung Hensels, es handele sich keineswegs um Boykott-aufrufe und jedem bleibe es unbenommen, über seine Geschäftsbeziehungen zu entscheiden, auf der „Achse des Guten“ die Antwort gab: „Man kann, finde ich, auch nicht mit absoluter Gewißheit behaupten, daß die feschen SA-Leute, die am 1. April 1933 vor jüdischen Geschäften Posten bezogen, einen Boykott jüdischer Geschäfte im Sinn hatten. Vielleicht wollten sie die Passanten nur darauf aufmerksam machen, wem die Geschäfte gehören, wobei es jedem Kunden überlassen blieb, ob er in dem jeweiligen Geschäft einkauft oder nicht.“

Als die „Achse“ mutmaßte, daß Hensel „möglicherweise (...) ein Pilotprojekt vorführen (wollte), um mit seinem Arbeitgeber einen Millionen-Auftrag des Bundesfamilienministeriums zu ergattern: ‘Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit’“, drohte auch Scholz & Friends ins Zwielicht zu geraten, und der Denunziant mußte gehen.

Jetzt folgte ein gezielter Einzelschlag auf Tichy, für den ein Gastbeitrag mit dem Titel „Warum Sie mit psychopathologisch gestörten grün-linken Gutmenschen nicht diskutieren sollten“ den Anlaß gab. Unter Getöse kündigte Mathias Richel, Kreativdirektor der Berliner Kommunikationsagentur „Torben, Lucie und die gelbe Gefahr“, sein Profil beim Kontaktnetzwerk Xing, dessen Mitglieder dort berufliche und private Kontakte verwalten und neue Kontakte finden können. Tichy ist der Gründungsherausgeber von Xing News. Seinen Schritt begründete Richel damit, daß Tichy in seinem Blog „neurechte Beiträge“ publiziere, „in denen Andersdenkende pathologisiert werden“. Es folgte ein sogenannter Shitstorm.

Es sei angemerkt, daß Tichys Einblick weder rechts noch konservativ ist, vielmehr rechts-, genauer rechtsstaatsliberal. So wird in Sachen Euro-Rettung und Massenzuwanderung auf Recht und Gesetz gepocht, was in Zeiten staatlich organisierter Rechtsbrüche freilich einer staatsfeindlichen Hetze gleichkommt. Besagter Artikel war eine erklärte Polemik und bei allen Vorbehalten substantieller als die Pathologisierungen, die Kritiker der Regierungspolitik ertragen müssen, denen ständig „Phobien“ unterstellt werden,.

Statt zum Gegenangriff überzugehen, meinte Tichy, dem eigenen Verständnis von Anstand Tribut zollen zu müssen. Er bat für das Erscheinen des Textes um Entschuldigung und löschte ihn umgehend. Die Absicht und das Niveau seiner Gegner allerdings hatte er gründlich verkannt. Sie legten sein Einlenken als Schwäche aus und steigerten den „Shitstorm“ bis zu Morddrohungen. Zahlreiche Nutzer kündigten auf Twitter und Facebook an, ihre Xing-Profile wegen Tichy ebenfalls zu löschen. Darauf trat er als Herausgeber von Xing News zurück. Tichys Einblick hat dadurch einen doppelten Gesichtsverlust erlitten.

Die Wirtschaft will keine unnötigen Konflikte

Der Vorgang steht exemplarisch für die Versuche, die alternativen Medien durch wirtschaftliche Schädigung zurückzudrängen. Zu diesem Zweck wird politischer und medialer Druck aufgebaut, wobei Politiker, staatsnahe Medien und Aktivisten sich die über viele Jahre generierte Psychopathologie der Öffentlichkeit zunutze machen, die beim Wort „rechts“ reflexhaft in Panik verfällt. 

Im Panik-Modus befindet sich freilich auch der politisch-mediale Komplex. Als Barack Obama 2008 die US-Wahlen auch mit Hilfe der sozialen Netzwerke gewann, wurde in Deutschland geschwärmt, wie modern, fortschrittlich, demokratisch und partizipativ die neuen Medien doch seien. Der Wahlsieg Donald Trumps hat den Etablierten die schockierende Einsicht vermittelt, daß Modernität und Partizipation sich auch gegen sie wenden können.

Die Wirtschaft reagiert stets auf Zuruf, um Image-Schäden zu vermeiden. Auch will sie keine unnötigen Konflikte mit der Politik, weil sie auf Fördergelder, Aufträge und Gesetzesvorhaben angewiesen ist. Der Zuruf kann auf dem direkten Dienstweg erfolgen. So hat die SPD-Bundestagsabgeordnete Saskia Esken die angeschlagene Fluglinie Air Berlin abgemahnt, weil ihre Werbung auf dem rechten US-Blog Breitbart erschien. Air Berlin apportierte umgehend und vermeldete stolz den zusätzlichen Boykott der JUNGEN FREIHEIT. 

Meistens sind solche Aktionen als spontane, persönliche Initiativen getarnt, die zivilgesellschaftlicher Verantwortung entspringen. Dabei verlassen die Akteure sich auf Rückendeckung durch den Staat oder sind bereits entsprechend vernetzt. Das ist der entscheidende Unterschied zu rechten „Shitstorms“.

Der für die Anti-Tichy-Kampagne verantwortliche Mathias Richel ist SPD-Mitglied und war mehrfach für Wahlkampagnen der SPD tätig. Zu den Kunden seiner Agentur zählt neben staatlichen oder systemrelevanten Konzernen das SPD-geführte Wirtschaftsministerium. Die Annahme, daß es sich bei der Attacke um eine geplante und konzertierte Aktion handelt, liegt nahe.

In dem Fall ging es darum, eine oppositionelle Institution zu beschädigen, wobei die berufliche und soziale Verletzung als Kollateralschaden in Kauf genommen wurde. In anderen Fällen richtet sich der Angriff unmittelbar auf das Individuum, das zum politischen Zweck sozial vernichtet wird.

Anfang Januar stellte der frühere Piratenpolitiker Christopher Lauer, der jetzt für die SPD im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, die Mail eines Bürgers aus dem hessischen Groß-Gerau ins Internet. Der Absender hatte nach Lauers Kritik am Silvestereinsatz der Kölner Polizei der SPD das Verschwinden in die Bedeutungslosigkeit gewünscht und angekündigt, künftig die AfD zu wählen. Er benutzte dazu den Mail-Account der Sparkasse, bei der er arbeitet. Lauer veröffentlichte die persönliche Mail auf Twitter. Die erwartete Reaktion folgte auf dem Fuß. Der Arbeitgeber teilte – ebenfalls über Twitter – mit, man habe mit dem Betroffenen vereinbart, ihm ein paar Tage Urlaub zu gewähren zum „Schutz der Person und (für) die Möglichkeit zur Klärung der Angelegenheit“. Welche Angelegenheit eigentlich? Die falsche Gesinnung!

Diese Praxis ist kein Zufall! Die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundeswirtschaftsminister und Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, Iris Gleicke (SPD), kritisierte jüngst in einem Interview mit der Zeitschrift Superillu die unterentwickelte „Willkommenskultur“ in den östlichen Bundesländern. Auf die Journalistenfrage: „Muß die Wirtschaft mehr Flagge zeigen?“, antwortete sie: „Das wünsche ich mir. Unternehmer müssen klar machen, daß Ostdeutschland tolerant und offen ist. Hier müssen sie mit an vorderster Front für das Image unseres Landes kämpfen.“ Das riecht nach Gesinnungsüberprüfung am Arbeitsplatz. Von den Gewerkschaften können Betroffene keine Hilfe erwarten. IG-Metall-Chef Jörg Hofmann erklärte im Oktober 2015, auf dem Höhepunkt der Willkommens-Euphorie, an die Adresse kritischer Arbeitnehmer: „Wer hetzt, fliegt. Und das muß auch jedem klar sein.“

Zersetzung „feindlich-negativer Elemente“

Und das ist erst der Anfang. Die Planungen des SPD-Medienexperten Richel gehen schon viel weiter. Argumente erübrigen sich, vielmehr sollen die Inhaber falscher Meinungen am Boden zerstört werden. Richel schreibt in seinem Blog: „Alle haben soziale Verbindungen im Netz, die ihr Offline-Leben reflektieren. KollegInnen, Vorgesetzte, MitschülerInnen, Freunde, Familie etc. Damit ist man sicht- und identifizierbar. Diesen Fakt den Menschen ins Bewußtsein zu rücken und das einmal deutlich zu formulieren, wo sie es in ihrer gemütlichen Filterblase vielleicht vergessen haben, das ist ein wirkungsvoller Hebel.“ Das könnte glatt aus Handbüchern der CIA oder der Stasi über die Zersetzung „feindlich-negativer Elemente“ – so hießen die in der DDR – entstammen!

Vollständig erfaßt man die Dimension der gegenwärtigen Entwicklung erst im historischen Kontext. Alexis de Tocqueville schrieb 1835 im Buch „Die Demokratie in Amerika“ über die neue Form der Tyrannis: „Unter der absoluten Herrschaft eines Einzelnen schlug der Despotismus, um den Geist zu treffen, den Körper (...); in den demokratischen Republiken geht die Tyrannei anders zu Werk; sie kümmert sich nicht um den Körper und geht unmittelbar auf den Geist los.“ Und zwar, indem sie den Kältetod durch soziale Isolation herbeiführt. Der neue Tyrann sagt: ‘Du hast die Freiheit, nicht zu denken wie ich; Leben, Vermögen und alles bleibt dir erhalten; aber von dem Tage an bist du ein Fremder unter uns.’“

Im Zeitalter der sozialen Netzwerke gilt das nur noch bedingt, denn diese sind ein effektives Mittel, um die verhängte Isolation zu durchbrechen und soziale und politische Alternativstrukturen aufzubauen. Deshalb erinnert die neue Tyrannis sich der alten Mittel und geht verstärkt wieder auf den Körper los: durch den Entzug der materiellen Grundlagen, wahlweise auch durch einen schreienden und prügelnden Mob. Die Einschläge kommen näher.