© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/17 / 20. Januar 2017

Faktencheck mit links
Facebook setzt bei der Prüfung vermeintlicher „Fake News“ auf die Recherchegruppe „Correctiv“
Gil Barkei / Martina Meckelein

Die Große Koalition hat am Wochenende nach monatelangen Debatten ein schärferes Vorgehen gegen Haßrede und Falschmeldungen beschlossen. Die Vorstellungen von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) und Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU): Innerhalb von 24 Stunden soll über gemeldete Haß- oder Fake-Beiträge entschieden werden und diese gegebenenfalls gelöscht werden. Andernfalls drohen Strafzahlungen, die laut Kauder „wirken“ und „im Zweifel weh tun“ müssen. 

Facebook hat nun auf den seit Wochen ausgeübten politischen Druck reagiert. Das soziale Netzwerk hat David Schraven und sein stiftungs- und spendenfinanziertes Recherchebüro Correctiv dazu auserkoren, von Facebook-Nutzern gemeldete vermeintliche „Fake News“ zu prüfen und gegebenenfalls als zweifelhaft zu markieren. Am Ende werde neben einem Beitrag mit als falsch erkannten Informationen ein entsprechender Warnhinweis stehen. Verschwinden werden die Postings nicht, allerdings könne es sein, daß bei unglaubwürdigen Artikeln die Sichtbarkeit reduziert werde, so Facebook-Manager Guido Bülow zu den Plänen.

Das ist nicht ganz das, was der Bundesregierung  vorschwebte. Mit Bewertungen über die Zusammenarbeit zwischen Correctiv und Facebook hält sich das Justizministerium zurück. „Es ist ja ein Testlauf, und vieles ist noch unklar, wie ich jetzt las“, sagt Philip Scholz, Pressesprecher von Justizminister Maas, der JUNGEN FREIHEIT. „Unabhängig von der Zusammenarbeit zwischen den beiden gehen unsere Überlegungen im Ministerium weiter. Uns geht es ausschließlich um strafbare Inhalte im Netz. Also Aufrufe und Verabredungen zu Straftaten oder Volksverhetzung. Diese Inhalte müssen schnell aus dem Netz raus.“

Das Ministerium steckt anscheinend in einem Dilemma: Es scheint die Gefahr zu sehen, daß Facebook durch zuviel Kontrolle oder zuwenig Expertise der Kontrolleure die Meinungsfreiheit einschränken könnte. 

Correctiv wird von Stiftungen finanziert

Aber auch das Internet-Unternehmen möchte die Verantwartung über Wahrheiten zu bestimmen von sich schieben. „Wir wollen nicht entscheiden, was die Wahrheit ist. Und ich glaube, niemand will, daß wir das tun. Also müssen wir mit Dritten zusammenarbeiten, die Experten sind“, betonte Facebook-Geschäftsführerin Sharyl Sandberg in der Bild.

Was ist also Correctiv und wer ist eigentlich dieser David Schraven, der jetzt mit seinem Team auf Facebook entscheiden soll, was potentiell falsch ist?

Facebook bezeichnet Correctiv als „Non-Profit-Recherchezentrum“ und betont, es fließe kein Geld. Die Zusammenarbeit könnte dem kleinen Portal aber helfen, seine Bekanntheit zu steigern.

Seine Bekanntheit steigern? Wenn der US-Online-Riese auf das kleine Recherchebüro aufmerksam geworden ist, scheint es mit der Bekanntheit wohl schon recht weit gediehen, oder?

Die JUNGE FREIHEIT fragte deshalb viermal bei der Pressestelle von Facebook an und wollte wissen: „Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Correctiv?“ Keine Antwort. Eine telefonische Nachfrage und eine E-Mail an Correctiv wurden ebenfalls nicht beantwortet.

Correctiv wurde 2014 gründet. Ein Blick in den Geschäftsbericht 2015 offenbart unter „Offenlegung der Gehälter“: David Schraven bekam als „Publi­sher“ (die englische Formulierung wird gerne für das deutsche Wort Verleger im IT-Bereich verwendet) ein Jahresgehalt von 111.038 Euro, Christian Humborg als Geschäftsführer 88.200 Euro. Aktuell arbeitet Humborg ehrenamtlich für das Recherchezentrum, denn seit dem 1. Dezember 2016 leitet er die Finanzen und die Zentralen Dienste bei Wikimedia Deutschland in Berlin. Vor seiner Correctiv-Zeit war er bei Transparency International Deutschland.

 Der Journalist Markus Grill ist Chefredakteur der Recherchegruppe und bekommt 87.500 Euro.

Als wichtige Förderer werden in dem Geschäftsbericht folgende Stiftungen genannt: Als Initialförderin die Brost-Stiftung. Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union in Nord-rhein-Westfalen schrieb dazu am 2. Juli 2014: „Die Brost-Stiftung gibt auf drei Jahre zusammen drei Millionen Euro, um ein gemeinnütziges Recherchebüro ‚CORRECT!V‘ zu ermöglichen. Die Leitung des Büros wird David Schraven übernehmen, bislang Recherche-Chef der Funke-Mediengruppe.“ Der Sozialdemokrat Erich Brost gründete gemeinsam mit Jakob Funke die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ). Zum dreiköpfigen Leitungsgremium der Brost-Stiftung gehört Bodo Hombach, der frühere Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe – ebenfalls SPD-Mitglied und früherer Landesminister NRW, Bundesminister sowie Chef des Kanzleramtes. Zum Verständnis: Als 2013 die Familie Brost ihre Anteile des WAZ-Konzerns an die Familie Funke verkaufte, wurde aus der WAZ-Gruppe die Funke-Gruppe.

Weitere Förderer sind laut Geschäftsbericht: Schöpflin-Stiftung (106.100 Euro), Adessium-Stiftung (75.000 Euro), Rudolf-Augstein-Stiftung (35.000 Euro) und die Bundeszentrale für politische Bildung (26.344 Euro).

Man kennt sich aus SPD- und Medien-Kreisen

Correctiv hat sich auch einem Ethik-rat unterworfen: „Dieser Rat wird aus zahlreichen angesehenen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Journalisten, Verlegern und Medienschaffenden bestehen (...). Sie werden darauf achten, daß Correctiv den hohen ethischen Grundsätzen aufklärerischen Journalismus als wichtigen Beitrag für die demokratische Kultur genügt.“ Vorsitzender des Ethikrates ist wiederum Bodo Hombach. 

Parallel zum Facebook-Coup gab David Schraven bekannt, eine Online-Journalistenschule zu gründen. Die „Reporterfabrik“ wolle mit Lehrgängen für Bürger- und Profijournalisten dazu beitragen, „die Glaubwürdigkeit der veröffentlichten Meinung zu stärken“, heißt es in einer Projekt-Präsentation. Schraven schreibt dazu auf correctiv.org: „Das ist unser Versuch, die aufklärerische, konstruktive, solidarische Vision des Netzes zu verteidigen gegen die dunkle Seite, gegen Haß, Fake-News, Desinformationen und Trash.“

Für Schraven geht der Kampf gegen vermeintliche Lügenpropaganda jetzt erst richtig los. So schreibt er in einem Facebook-Eintrag, man sei zwar froh, daß Facebook die ersten Ansätze voranbringe, allerdings sind wir „davon überzeugt, daß dieser Ansatz alleine nicht ausreicht, Fake News nachhaltig zu bekämpfen“. Ob das aktuelle Modell dauerhaft funktioniere, müsse sich erst herausstellen – und die Zeit sei knapp: „Die entscheidende Richtungswahl ist im Mai in NRW, dem bevölkerungsreichsten Bundesland.“ 

Das langfristige Ziel mit seiner Journalistenschule ist daher „die redaktionelle Gesellschaft“. Jeder Normalbürger solle künftig „Desinformation“ erkennen. Das Angebot soll für nichtprofessionelle Journalisten gratis sein. Für die Anschubfinanzierung hoffen die Gründer auf die Landesmedienanstalten, Stiftungen und Unternehmen. Aber auch eine Kooperation mit den Volkshochschulen steht im Raum.

Leiter der Akademie wird Cordt Schnibben, der dafür nach rund 30 Jahren den Spiegel verläßt. Unterstützer sind unter anderem Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, Spiegel-Chef Klaus Brinkbäumer und ZDF-Moderator Claus Kleber. Partner sind das von Schnibben gegründete „Reporter Forum“ und das „Netzwerk Recherche“. Beide Projekte werden wie Correctiv von der Rudolf-Augstein-Stiftung gefördert. 

Im Vorstand von „Netzwerk Recherche“ sitzt übrigens Correctiv-Chefredakteur Markus Grill, von 2012 bis 2014 für den Spiegel als Wirtschaftskorrespondent in Washington.