© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/17 / 20. Januar 2017

Im Windschatten der Aufmerksamkeit
Die Studie eines russischen Historikers enthüllt Brisantes über den armenischen Terrorismus im 20. Jahrhundert
Jürgen W. Schmidt

Am 17. Mai 1976 explodierten drei Bomben in den türkischen Konsulaten in Köln, Essen und Frankfurt am Main. Richteten diese Bomben damals nur Sachschaden an, so waren nachfolgende Anschläge in Deutschland blutiger. Am 27. August 1979 gab es beim Anschlag auf das Büro von „Turkish Airlines“ in der Mainstadt bereits Verletzte und vier Jahre darauf, am 27. August 1983, tötete eine im französischen Konsulat am Frankfurter Palmengarten plazierte Bombe zwei Menschen und verletzte 23 weitere. Verursacher dieser in Deutschland längst vergessenen Attentate war eine Geheimorganisation mit Namen „Armenian Secret Army for the Liberation of Armenia“ (ASALA). 

Obwohl die ASALA eine der brutalsten armenischen Terrororganisationen war, so stellte sie doch keinesfalls die einzige ihrer Art dar. Zu ihren armenischen Konkurrenten zählten die ARA („Armenian Revolutionary Army“), der NAR („New Armenian Resistance“) und die JCAG („Justice Commando of the Armenian Genocide“), um nur einige von ihnen zu nennen. Ziele der armenischen Terroroffensive ab 1973 waren einerseits die Rache an den Türken für die Armeniermassaker zu Zeiten des Ersten Weltkriegs und anderseits der Kampf um einen selbständigen armenischen Staat, für ein künftiges „Großarmenien“, dem alle im Mittelalter einst armenisch besiedelten Territorien angehören sollten. 

Das machte neben dem armenischen Erzfeind Türkei die damalige Großmacht Sowjetunion zum wichtigen Terrorziel. Insbesondere blutige Anschläge auf Einrichtungen der Verkehrsinfrastruktur, auf vollbesetzte Busse, Nahverkehrs- und Eisenbahnzüge wurden bald zu einem Markenzeichen des armenischen Terrors. Am 8. Juni 1977 explodierten Bomben in der Moskauer Metro und in zwei Moskauer Lebensmittelläden mit vielen Toten und Verletzten, und am 8. September 1984 hinterließ eine Bombenexplosion in einem innerstädtischen Bus in Baku gleichfalls viele menschliche Opfer. 

Am 12. Dezember 1988 hingegen schossen Kämpfer der armenischen „Nagorno Karabakh Defense Army“ (NKDA) sogar nahe Spitak in Armenien mit einer Stinger-Rakete ein IL-76-Transportflugzeug ab und töteten dabei insgesamt 79 Besatzungsmitglieder und Passagiere. Selbst im fernen Australien (Melbourne, 23. November 1986), in Kanada (Toronto, 14. Januar 1982) und im amerikanischen Los Angeles (20. November 1981) sprengten armenische Terroristen örtliche türkische Konsulate in die Luft. 

Dabei arbeiteten die armenischen Terrororganisationen ab 1975 ohne Skrupel sogar mit der PLO zusammen und ließen ihre Kämpfer im Südlibanon als Terroristen schulen. Einen weiteren Aufschwung erhielt der armenische Terrorismus durch die ab 1988 aufflammenden Kämpfe um Berg-Karabach, wobei nunmehr die Aserbaidschanische Republik, bewohnt von einem Turkvolk, ins Visier der Terroristen geriet. Zudem gelang es den Geheimdiensten der armenischen Republik ab 1995 recht erfolgreich, einerseits die aserbaidschanische Armee zu unterwandern und sogar russische Staatsbürger armenischer Nationalität, welche Mitarbeiter russischer Geheimdienste waren, als Helfer für blutige Terroranschläge auf aserbaidschanischem Boden zu gewinnen. 

Der effizienten politischen Lobbyarbeit der weltweit einflußreichen armenischen Gemeinden ist es hingegen zu verdanken, daß der armenische Terrorismus bislang kaum je in seiner ganzen Gefährlichkeit wahrgenommen wurde. Der russische Historiker Oleg Kusnetsov hat jetzt erstmals in einer Studie, welche nunmehr in englischer Übersetzung in einem Berliner Wissenschaftsverlag erschienen ist, auf die Ursachen und Wurzeln sowie auf die politische Ausrichtung und die Gönner des quantitativ wie qualitativ arg unterschätzen armenischen Terrorismus aufmerksam gemacht. 

Daß es sich bei der 2015 erstmals im „Center for Strategic Studies“ in Baku erschienenen Studie um keine Auftragsarbeit im Interesse des armenischen Intimfeindes Aserbeidschan handelt, beweist auch eine im Anhang des Buches abgedruckte umfangreiche CIA-Analyse über die ASALA, welche die Erkenntnisse von Kusnetsov bestätigt. Nicht zuletzt ist Kusnetsovs Arbeit aber auch eine eindringliche Warnung vor fatalen Nebenwirkungen der allzu einseitigen russisch-armenischen Freundschaft im Kaukasus, wo Armenien aktuell den besten, weil einzigen Verbündeten Rußlands darstellt. Kusnetsov will das bislang in Rußland geltende Tabu über den gewalttätigen armenischen Extremismus brechen.