© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/17 / 27. Januar 2017

Pankraz,
Botho Strauß und der Weg in den Alptraum

Wie fühlt es sich an, was passiert da, wenn ein Dichter, den man seit langem bewundert und verehrt, plötzlich total ausrastet, jede Kommunikation mit den Lesern, welchen auch immer,  regelrecht verweigert, unter dem Motto „Was geht ihr mich an? Haut ab! Laßt mich endlich in Ruhe“? Man ist bestürzt, ratlos, fühlt sich merkwürdig allein gelassen. So erging es jetzt Pankraz bei der Besichtigung (Lektüre kann man es kaum noch nennen) des neuen Buches von Botho Strauß (72), „Oniritti Höhlenbilder“, erschienen im angesehenen Münchner Hanser-Verlag.

An sich hätte er gewarnt sein müssen. Schon das vorletzte Buch von Strauß, „Allein mit allen“, 2014 ebenfalls bei Hanser erschienen, verweigerte Kommunikation, pochte auf strikte Privatsphäre und geistige Abkapselung. Es nannte sich im Untertitel „Gedankenbuch“, war aber immerhin noch in Kapitel gegliedert und hatte einen Herausgeber, Sebastian Kleinschmidt, der in einem respektvollen Nachwort die Eigenheiten des Werkes zu erklären und in das bisherige Œuvre des Autors einzuordnen versuchte. Der Leser konnte Ursprung und Ziel der Gedanken halbwegs erkennen.

In einem Nebensatz teilte Kleinschmidt damals freilich mit, daß Strauß selbst mit dieser Untergliederung und zeitlichen Einordnung „eigentlich“ nicht einverstanden gewesen sei.  Im neuen Buch sind alle Lesehilfen und Anbindungen denn auch resolut getilgt. Es gibt keine Kapitel oder extra markierte Abschnitte mehr, auch keine Erwähnung von aktuellen Lebensgenossen des Autors oder ihn umgebenden Landschaften. Alles ist tatsächlich nur noch ein in jeder Hinsicht offener Gedankenstrom. Man liest nur noch, was dem Autor – um mit Gerhard Stadelmaier zu sprechen – „momentan durch die Rübe gegangen“ ist.


Einzig die Länge der einzelnen Absätze ist noch auffällig. Manchmal füllen sie eine halbe oder gar eine ganze Seite, manchmal verdichten sie sich zu bloßen knappen Sätzen, sogenannten Aphorismen, und dann erkennt man auch künstlerischen Ehrgeiz; der Aphorismus ist schließlich ein eigenes, höchst anspruchsvolles Literaturgenre und erfordert Ingenium und sprachliche Delikatesse. Seine historischen Vorbilder heißen  Montaigne, La Rochefoucauld, Lichtenberg, Nietzsche, ihnen gilt es sich ebenbürtig zu zeigen. Doch Straußens Aphorismen – man muß es leider sagen – erreichen nicht diese Vorbilder.

Sie wollen es offenbar auch gar nicht. Hier einige Beispiele, spontan aus der Textmasse herausgegriffen: „Lerne zu verlernen. Dahinterkommen: hinter die Mauer des Verstehens.“ – „Für seinen empfindlichen Rücken suchte er zeitlebens ein Anlehnen, wie es keine Wand, kein Türpfosten und kein anderer Mensch gewähren konnte.“ – „In der Sackgasse leben heißt vom Durchgangsverkehr verschont bleiben.“ – „Der Wanderer frißt den Weg, den er geht, und scheidet ihn hinter sich wieder aus.“ – „Man wird mir nachsagen, ich hätte im Leben zu lange aus dem Fenster geschaut. (Was hat Flügel und kann nicht fliegen?) Das Fenster.“

Was solchen Aphorismen an der Vollkommenheit fehlt, ist, findet Pankraz, Lebenslust und Freude am Nachsehen. Keine Einsicht kann hier glänzen, weil immer die Resignation allzu früh dazwischenkommt. Man soll das Lernen verlernen und lieber in der stumpfsinnigen Sackgasse versauern, um nur ja nicht an den Durchgangsverkehr heranzukommen. Wandern ist von Übel, weil letztlich doch nur die Wege dadurch beschmutzt werden. Und Aus-dem-Fenster-Schauen ist verächtlich. Weil die Fenster nicht fliegen können. Was soll das? So kann man nicht leben! Montaigne oder Lichtenberg werden sich im Grab umdrehen.

Die Wahrheit ist nämlich, daß der Rest des Buches den schwarzen Alles-ist-vergeblich-Ton, den die Aphorismen anschlagen, keineswegs abmildert, sondern ihn sogar noch verstärkt und ins Quietschige verzerrt. Das einzige Bild, das „den neuen Strauß“ durchzieht und sich dauerhaft einprägt, ist das einer riesigen Besuchermenge, die sich vor irgendeinem „Touristen-Hotspot“ zusammenballt und nun von angestellten „Fremdenführern“ durch die angebliche Sehenswürdigkeit getrieben wird. Man sieht faktisch nichts, gerät lediglich in ein höchst unappetitliches Gedränge, und das war’s dann. C’est la vie.


Strauß-Verehrer können nur ratlos den Kopf schütteln. Botho Strauß – ist das nicht jener Dichter, der das Publikum auch in kunstfernsten Zeiten mit spritzig-klugen Gesellschaftskomödien unterhalten hat? Der den antiken Mythos von der Heimkehr des Odys-

seus in fesselndster, erhellenster Weise auf die moderne Bühne gebracht hat? Der als einer der ersten die Hohlheit und Lebensfeindlichkeit des linken Literatur- und Politikbetriebs seit 68er-Zeiten durchschaut und tapfer thematisiert hat? Wie bringt sich so einer auf seine alten Tage (aber er ist doch noch gar nicht so alt!) derart ins resignative Abseits?

Hoffentlich ist es nur ein schlechter Traum, ein vorübergehender Alptraum. „Oniritti“ hat Strauß  sein Buch genannt, das Wort kommt aus dem Altgriechischen („oneiros“) und heißt dort Traumbild, keineswegs Alptraum. Strauß übersetzt es in einer Eingangserklärung etwas voreilig mit „Grafitti, Bildschriften auf der Höhlenwand der Nacht“ – und bringt dadurch den zweiten Teil seines Titels, „Höhlenbilder“, in falsche Beleuchtung. Bloße Grafitti, schnöde Wandschmiereien ohne jede künstlerische Ambition, waren die bekannten Höhlenmalereien gewiß nicht. 

Höhlenbilder (und zwar nicht nur die weltberühmten Höhlenbilder von Lascaux) sind in der Regel, wie die Archäologie längst überzeugend dargelegt hat, keine Angstmach-Bilder von bösen Geistern, sondern es sind positiv gemeinte Jagd- und Zuchtbilder, anschauungskäftige  Tierporträts vor allem, mit deren Hilfe die realen Tiere leichter gefangen und in menschliche Verfügungsgewalt gebracht werden sollten. Die lebendige Kreatur wurde ins Bild gebannt, um das reale Leben der Menschen zu heiligen und zu erleichtern. Alpträume allenfalls für Bisons und Mammuts, nicht für Dichter.