© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/17 / 27. Januar 2017

Dorn im Auge
Christian Dorn

Das Wahljahr 2017 startet Mitte Januar im Wedding, im Atelier des russischen Künstlers Nikolai Makarov, wo der Wodka aus einem nimmer versiegenden Springbrunnen fließt. Um so berauschender und beschwingter begibt es sich in den Fluß des Vergessens. Dicht umringt ist über die ganze Nacht die Bahn, auf der das Kakerlaken-Neujahrsrennen startet, annonciert als der „Kampf der Giganten“, ein „Rennen um die Weltherrschaft“. Dementsprechend zeigt ein großes Foto drei Männer mit nacktem Oberkörper gemeinsam auf einem Pferd reitend: die Präsidenten Putin, Trump und Erdogan. Im Gegensatz zu dieser homoerotischen Imagination sich umklammernder Leiber treffen hier die – im Namen ihrer politischen Führer antretenden – bislang unbesiegten Kampfsportler erstmals aufeinander. Auf der ersten Bahn startet der Athlet aus dem Stall Putin, Attila Klotzkov, gefürchtet als „Tyrann der Kreml-Kantine“, der für seinen Chef über Leichen geht. Auf Bahn zwei läuft für den Stall Trump die Chef-Schabe des Oval Office Willy Vanilli, Träger der Tapferkeitsmedaille des Ku-Klux-Klan. Als unversöhnlicher Kontrahent mit dem kompromißlosen Willen zum Sieg gilt auch die Läuferin auf der dritten Bahn, die für den Stall Erdogan startet: Orospu Sikmek, eine gefürchtete Kampfamazone vom Bosporus, von der es heißt, ihr Tschador sei feuerfest und sie bade im Urlaub in den Magma-Seen des Ätna.


Alle drei wissen, eine Niederlage bedeutet das Ende. Deshalb laute ihr Credo: „Dann lieber tot.“ Doch das ist leichter geklagt, oder besser: geschabt, als getan. Sind Kakerlaken doch die einzigen Kreaturen der Schöpfung, die selbst eine Atombombe überleben. Ein offenkundig Freudscher Versprecher angesichts islamistischen Terrors macht in dem Ankündigungstext daraus eine „Autobombe“. Dabei ist der autosuggestive Moment des Kakerlak-Kämpfers nicht zu unterschätzen. So triumphiert auch hier am Ende das völkerverbindende, olympische Motto: „Dabeisein ist alles!“ Denn als Sieger läuft auf Bahn sieben die Hochlandschabe Pamir als erster ins Ziel.


Ganz anders gestalten sich die Anforderungen bei der Fashion Week. Auf dem Weg zum Laufsteg im Felix Club vom Hotel Adlon müssen die Models mit ihren himmelhohen Absätzen Dutzende Treppenstufen hinab- und hinaufsteigen, um die Kollektionen etwa der Designerin Sarah Kern oder des Labels Madlchen zu präsentieren. Auch hier gibt es Lethe kostenlos, während ein Tropfen Mnemosyne, also nichtalkoholische Getränke, mehr als eine Draghi-Blüte erfordert.