© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/17 / 27. Januar 2017

Auf das Ohrensausen kommt es an
Das Unsichtbare sichtbar machen: Ein Gedenkblatt für den Barockbaumeister Balthasar Neumann anläßlich seines Geburtstages am 27. Januar
Konrad Adam

Nach einem Kantatengottesdienst soll sich ein Würdenträger der alleinseligmachenden Kirche im Gespräch mit einem seiner evangelischen Amtsbrüder zu einem ungewöhnlichen Geständnis bereitgefunden haben. Auch wenn ihm das schwerfalle, sagte er, müsse ein Katholik die Evangelischen um einen Mann wie Johann Sebastian Bach beneiden. Ein Zugeständnis, das der Angesprochene mit der Versicherung beantwortet haben soll, daß er als Protestant die Katholiken seinerseits um einen Baumeister wie Balthasar Neumann beneide.

Beide, Bach und Neumann, waren Zeitgenossen, geboren im Abstand weniger Jahre, Neumann im Jahre 1687, am 27. Januar, in der Stadt Eger. Beide lebten in einer Friedenszeit, in der nachgeholt wurde, was in den Religions- und Türkenkriegen liegengeblieben oder zerstört worden war. Und beide haben etwas zum Abschluß gebracht, was die Generationen vor ihnen gewollt und versucht hatten, der eine in der polyphonen Musik, der andere in der repräsentativen Baukunst.

Bach und Neumann sind oft miteinander verglichen worden, und dafür gibt es Gründe, die über das rein Persönliche oder bloß Zufällige hinausgehen. „Ganz am äußersten Ende der Künste“, schreibt Jacob Burckhardt in seinen „Weltgeschichtlichen Betrachtungen“, „am ehesten in flüchtiger Verwandtschaft mit der Architektur: die Musik.“ Beide, meint Burckhardt, könnten reiner als alle anderen Künste ein ideales Wollen zum Ausdruck bringen. Wie die Musik das Unhörbare hörbar, könne die Architektur, an die richtige Aufgabe gesetzt, das Unsichtbare sichtbar machen. Gerade in ihrer Zwecklosigkeit, in ihrer Unabhängigkeit vom sinnlich Begehrenswerten gebe die Architektur zu erkennen, „was Kunst ist“.

Fließende Übergänge, Wechsel der Perspektiven

Heute, wo das Ornament als überflüssig, schwülstig oder gar frivol gilt, tut man sich schwer mit einer Baukunst, die vom Ornamentalen überwuchert, ja geradezu erdrückt zu werden scheint. Aber das ist eben nur der erste Eindruck, und der ist meistens falsch. Die kleine Kirche in Kitzingen-Etwashausen, die auf Neumanns ausdrücklichen Wunsch schmucklos geblieben ist, macht klar, worauf es ihm ankam: auf die fließenden Übergänge, die Verschränkung der Räume, den Wechsel der Blickachsen und der Perspektiven. Das Fehlen der   einfachen Linien, der glatten Flächen, der simplen, schon auf den ersten Blick erkennbaren Formen ist auch in dieser kleinen Kirche dazu angetan, beim Besucher ein Gefühl der Orientierungslosigkeit hervorzurufen, einen nüchternen Schwindel, einen trockenen Rausch. Man kann, wie sich der Kunsthistoriker Wilhelm Pinder ausdrückt, „eine Art Ohrensausen“ fühlen, „wie es zuweilen von der höchst körperlosen Musik erzeugt wird“.

Auf dieses Ohrensauen haben es die Barockbaumeister abgesehen. Wer einmal über die Stufen im Treppenhaus der Würzbürger Residenz emporgestiegen ist und erlebt hat, wie sich der Raum weitet und entfaltet, bis er schließlich, nach einer Kehrtwende auf dem mittleren Podest, die oberste Galerie erreicht und den gewaltigen Raum in seiner ganzen Ausdehnung überblickt, wird wissen, was damit gemeint ist. Nüchtern betrachtet, ist die gigantische Anlage nichts anderes als Raumverschwendung, für die es anderswo, in den französischen  Königsschlössern, selbst in Versailles, kein Beispiel gibt. Ein Treppenhaus von diesem Ausmaß ist überflüssig – und eben deshalb ein Muster repräsentativen Bauens.

Neubau der Kirche im schwäbischen Neresheim

 Auf dem Fresko, mit dem Tiepolo die Decke geschmückt hat, ist der Schöpfer des Raumes dargestellt. Die linke Hand in die Hüfte gestemmt, ist Neumann in seiner Eigenschaft als Oberst der fränkischen Kreis-Artillerie zu sehen. Er sitzt auf einem Kanonenrohr und mustert mit kühlem Blick sein Werk. Das Muldengewölbe, mit dem er den riesigen Raum überspannte, war ein konstruktives Wagestück allererster Ordnung; selbst ein so erfahrener Architekt wie Lukas von Hildebrandt, der dem Prinzen Eugen in Wien seinen Belvedere-Palast erbaut hatte, soll beim Blick in Neumanns Pläne erklärt haben, sich auf eigene Kosten unter dem Gewölbe hängen lassen zu wollen, sollte es denn halten. Ein Spaß, den Neumann mit dem Angebot beantwortet haben soll, unter dem Rohbau einige Geschütze abfeuern zu lassen, um die Haltbarkeit des Ganzen zu beweisen. Zweihundert Jahre später ist sein Vertrauen bestätigt worden, als das Gewölbe den Spreng- und Brandbomben, die eine englische Bomberflotte kurz vor Kriegsende über Würzburg abgeladen hatte, wie durch ein Wunder standhielt.

Schon zu Lebzeiten Neumanns hatte der Bau die Bewunderung des Kaisers erregt, der auf dem Weg nach Frankfurt in Würzburg unterbrochen hatte. Schwer vorstellbar, was aus der Wiener Hofburg geworden wäre, wenn Neumann mit seinen Plänen für deren Ausbau in großem Stil zum Zuge gekommen wäre. Denn dort, am Sitz des Kaisers, sollte die ohnehin schon großzügige Würzburger Lösung noch einmal verdoppelt werden. Nicht weniger als vier Treppenarme sollten aufeinander zulaufen, sich in der Mitte treffen, dann kehrtmachen und zu den Empfangsräumen des Kaisers emporführen. Der Plan konnte nicht mehr realisiert werden, er wurde ein Opfer der Schlesischen Kriege, die Maria Theresia dazu zwangen, dem schönen Luxus einer von Neumann gestalteten Hofburg zu entsagen, um gegen Preußen zu rüsten.

So blieb Neumann auf die süddeutschen Länder angewiesen, die damals, in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, überwiegend unter der Herrschaft von Angehörigen des Haus Schönborn standen. Um die durchweg anspruchsvollen Aufträge, mit denen ihn die Mitglieder dieser bauwütigen Familie versorgten, zu erfüllen, war Neumann ständig zwischen Würzburg und Bamberg, Bruchsal und Koblenz, Vierzehnheiligen und Poppelsdorf unterwegs.

Sein letzter großer Auftrag war der Neubau der Klosterkirche im schwäbischen Neresheim. Den Abt dieses Benediktinerkonvents hatte der Ehrgeiz gepackt, reichsunmittelbar zu werden, und das verlangte einen Aufwand, für dessen künstlerische Realisierung man keinen Besseren glaubte finden zu können als Balthasar Neumann.

Das Ziel ist erreicht worden, Neresheim wurde reichsunmittelbar, und daran wird Neumanns Kirche ihren Anteil gehabt haben. Sie stellt das große Welttheater vor, das immer wieder neu zu inszenieren Ehrgeiz und Aufgabe der großen Barockbaumeister war. Die Wände werden zu Kulissen, überwölbt von sieben ovalen Kuppeln, über denen sich der von Engeln und Heiligen, Aposteln und Märtyrern dicht bevölkerte Himmel öffnet. Begrenzt wird dieser Kirchenhimmel von den für Neumann so charakteristischen, sphärisch gekrümmten Bögen; sie machen das Schwere leicht, lassen das Feste elastisch erscheinen und setzen den gesamten Raum in Schwingung.

Die Baumeister, die nach Neumanns Tod den Bau weiterzuführen hatten, wagten nicht, die Gewölbe wie geplant in Stein auszuführen; stattdessen nahmen sie Holz. Das hat die Stabilität des Ganzen von Anfang an beeinträchtigt und immer wieder aufwendige Rekonstruktionsarbeiten notwendig gemacht; noch kürzlich war die Kirche wegen Baufälligkeit für lange Zeit gesperrt. Zugänglich ist sie längst schon wieder, aber der Konvent, der sie unterhalten soll, schrumpft; seine Mitglieder werden hinfälliger, ihre Zahl nimmt ab. Und weil es der letzte Abt mit seiner Verpflichtung zur Armut nicht allzu genau genommen hatte, hat nicht nur die Arbeit, sondern auch der Ruf des Kosters gelitten.

Als gutem Sohn der Kirche war diesem Abt das Geld der Gläubigen lieber als ihr Zuspruch. Begünstigt durch das deutsche Steuer- und Spendensystem, hatte er Millionen auf einem Konto versteckt, über das neben ihm selbst nur ein dunkler Ehrenmann verfügen durfte, der in der Heimatstadt des Abtes, im rheinischen Krefeld zu Hause war. Ein Prozeß, in dem sein Nachfolger die Herausgabe der Gelder verlangte, ist zugunsten des Klosters ausgegangen; aber der Preis war hoch. Von außen betrachtet steht Neresheim glänzend da: alles ist repariert, herausgeputzt und neu vergoldet. Aber der Glanz trügt, denn was der Kirche fehlt, ist das Vertrauen der Menschen.