© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/17 / 03. Februar 2017

Auf Pixelspurensuche
Journalisten und Medienagenturen kämpfen mit Bild-Forensikern gegen gefälschte Aufnahmen
Heiko Urbanzyk / Gil Barkei

Im Internet macht derzeit der Vorwurf die Runde, Donald Trump habe auf einem offiziellen Foto seine Hand digital vergrößern lassen, um stärker zu wirken – ein „Fake“, wie man heutzutage so schön sagt. Der Fall verdeutlicht, die Diskussion um gefälschte Fotos und Videos, die schon vor dem Aufkommen des Begriffs „Fake News“ begonnen hat.

Bereits seit einem Bildfälschungsskandal 2006, im Zuge dessen sich Reuters von einem Fotografen trennte, der zugunsten der Dramatik ein Foto vom brennenden Beirut im Libanon-Krieg retuschierte, befindet sich die Medienbranche in Aufruhr. Die Nachrichtenagentur verschärfte damals ihren Verhaltenskodex. Fotografen dürfen nur noch Rohbilder einsenden. Die Bearbeitung von Qualität und Bildausschnitten bei den 2.000 täglich verschickten Fotos erledigen Reuters-Redakteure zentral.

Neue technische und journalistische Methoden

Es folgten mehrere Fälle, in denen Nachrichtensendungen falsch zugeordnetes Bildmaterial verwendeten. Die scharfe Kritik daran spielte eine zentrale Rolle bei dem sich festsetzenden Vorwurf der „Lügenpresse“ gegen die etablierten Medien.

So zeigte das ZDF-Morgenmagazin beispielsweise im Mai 2011 angeblich syrische Folterbilder, die in Wahrheit aus dem Irak stammten. Der Westdeutsche Rundfunk hinterlegte im August 2014 eine Meldung zu vermeintlichen Truppenbewegungen russischer Panzer in der Ukraine mit einem alten Foto von 2008. Einige Wochen zuvor illustrierte die ARD-„Tagesschau“ einen Hubschrauberabschuß in der Ostukraine mit Aufnahmen eines abgeschossenen Helikopters in Syrien. Der damalige Auslandskorrespondent Udo Lielischkies gab den „Fehler“ im Blog der „Tagesschau“ zu und verwies auf den „hohen Zeitdruck“ beim Prüfen von Bildmaterial.

In der Tat stehen Journalisten vor einer großen Herausforderung. Die für jedermann zugänglichen sozialen Netzwerke sind eine unverzichtbare Quelle für aktuelle, schnelle und exklusive Bilder. Jeder Smartphone-Nutzer ist ein potentieller Reporter, und Facebook, Twitter, Youtube & Co. ziehen das Veröffentlichungstempo drastisch an.

„Mit der mehr und mehr digitalisierten Fototechnik ist es heute ohne Vorwissen nahezu jedem möglich, Bilder zu manipulieren“, wußte bereits vor zehn Jahren Mathias Kirchner von der Technischen Universität Dresden zu berichten. Bildbearbeitungsprogramme wie Photoshop eröffnen jedem Laien Fälschungsmöglichkeiten. 

Kirchner hat heute die Professur für Datenschutz inne und gibt Multimedia-Forensik als Interessenschwerpunkt an. Er arbeitet unter anderem an Projekten, in denen das sogenannte Bildsensorrauschen von Digitalkameras dazu genutzt wird, um die Ursprungskamera eines manipulierten Bildes zu identifizieren. Heute können Bild-Forensiker anhand verschiedener Analysemethoden nachvollziehen, ob ein Bild „gephotoshopt“ wurde oder nicht – eine nachträgliche Bearbeitung hinterläßt Pixelspuren, die sich vom Ursprungsbild unterscheiden. Ob ein Bild aus der Originalkamera kommt oder mehrfach abgespeichert wurde, läßt sich ebenfalls berechnen.

Um die neuen Methoden haben sich neuartige Anbieter und Berufsbezeichnugnen gesammelt. Für Bild-Forensiker ist der Ursprung eines Bildes oder Videos entscheidend. An dessen Verifizierung arbeiten Journalisten und Techniker gleichermaßen zusammen, erläutert Mandy Jenkins von Storyful dem Deutschlandfunk. Storyful gehört dem Medien-Mogul Rupert Murdoch. Der Redaktionsdienstleister mit Sitz in Dublin sucht Inhalte in sozialen Netzwerken, prüft sie auf Echtheit und liefert weltweit an Medien wie Reuters oder die New York Times. „Wir haben technische Hilfsmittel entwickelt, die uns großartige Videos von Augenzeugen finden lassen in den sozialen Netzwerken“, schwärmt Jenkins. Der nächste Schritt sei dann zu überprüfen, ob das Video wirklich an dem Ort aufgenommen wurde, von dem es stammen soll und wann der Film genau entstanden ist. Eine hundertprozentige Sicherheit gebe es zwar nicht, und eine Prüfung könne sich hinziehen, aber in einem nicht zu komplizierten Fall bekämen ihre Bild-Forensiker das in unter einer halben Stunde hin, oft sogar schneller. 

Daran Hassanzadeh, Video-Analytiker vom ZDF-„Heute Journal“, hat da ganz andere Erfahrungen: „Verifizierung funktioniert in der Aktualität gar nicht.“ Sein Echtheitsnachweis und die exakte Einordnung eines Youtube-Videos, das einen Faßbomben-Abwurf auf die Zivilbevölkerung im syrischen Aleppo zeigt, dauerte insgesamt einen Monat. 

Medien und Agenturen arbeiten weltweit zusammen 

Immer mehr Medien versuchen wie die ZDF-Kollegen die neuen Methoden in ihre Redaktonsabläufe zu integrieren. Das Erste hat extra ein „Content Center“ unter der Leitung von Michael Wegener eingerichtet. Den „Chef-Verifizierer bei den Fernsehnachrichten der ARD“ nannte ihn der Deutschlandfunk. Wegener betont allerdings auch, die letzte Gewißheit gebe es nicht. Man müsse die für sich gewonnene Erkenntnis der Echtheit „auch umgangssprachlich mit Bauchgefühl beschreiben“.

Um die Fehlerquote bei diesem „Bauchgefühl“ möglichst gering zu halten, arbeiten Medienanbieter zunehmend untereinander sowie mit externen Dienstleistern zusammen. Faktenchecker-Vereinigungen wie First Draft, die im Zuge der „Fake News“-Debatte steigende Bekanntheit erfahren haben, bieten Möglichkeiten an, Fälschungen besser zu erkennen und Standards zur Quellenanalyse zu etablieren. Zu den Gründungspartnern gehören neben Googles Journalismus-Projekt „News Lab“ auch die erwähnte Social-Media-Nachrichtenagentur Storyful.

Zum Jahresanfang schlossen sich zahlreiche deutsche Medien wie die dpa, Zeit Online und die ARD dem im September 2016 gegründeten internationalen „First Draft Partner Network“ an, zu dem unter anderem auch die New York Times, The Telegraph, Reuters, CNN, BBC, Facebook und Youtube, aber auch Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International gehören. Schwerpunkt ist die Verifizierung von Augenzeugenmaterial („Leserreporter“) aus sozialen Netzwerken. Der Grundkurs bietet einen Einblick, wie Bild-Forensiker in Redaktionsstuben und Zulieferagenturen arbeiten. Der Test, den Schauplatz eines Ereignisses anhand optischer Signale zu erkennen: „Achten Sie auf Straßenschilder, die Sprache der Einzelhandelsschilder, Landschaft, Architektur, um zu erraten, wo die Szene spielen könnte“, erklärt First Draft das erste Vorgehen. Minutiöse Anleitungen in Video, Bild und Text zeigen, wie Stück für Stück die Herkunft beziehungsweise der wahre Schauplatz einer Szene ermittelt wird. 

Das 90sekündige Anleitungsvideo demonstriert eindrucksvoll, wie schwierig, aber eben auch möglich es ist, einen US-amerikanischen Luftwaffenstützpunkt in Afghanistan durch Bild-Analysen zu erkennen. Abgebildete Uniformen und militärische Geräte seien mit Hilfe anderer Netzseiten einem bestimmten Staat zuzuordnen. Kleidung solle darauf untersucht werden, ob sie zu den übrigen Wetterverhältnissen im Bild passe. Mittels Google Earth kann die Landschaft verifiziert werden.  

Andere Anleitungen erklären, wie der Zeitpunkt des erstmaligen Hochladens bei Instagram und Youtube bestimmt werden kann, um an die Quelle einer kursierenden Aufnahme zu gelangen. Die Erkennung von Fake-Accounts in sozialen Netzwerken ist eine weitere Einheit.