© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/17 / 10. Februar 2017

Ländersache
Siebenmal kassiert
Martina Meckelein

Am Montag sitzt ein 25jähriger Sudanese zerknirscht auf der Anklagebank des Amtsgerichts Hannover. Er ist der erste Flüchtling, dem hier wegen Sozialbetrugs der Prozeß gemacht wird. Die Behörden hat er mit sieben verschiedenen Identitäten getäuscht und so 21.700 Euro erschlichen. 

Insgesamt fünf Landesaufnahmebehörden (LAB) mit elf Außenstellen gibt es in Niedersachsen. In allen sollen sudanesische Flüchtlinge durch Mehrfachidentitäten Leistungen erschlichen haben, teilte jetzt Innenminister Boris Pistorius (SPD) im Landtag mit. Speziell gegen die Leitung der LAB Braunschweig (JF 2/17) ermittelt die Staatsanwaltschaft nun wegen des Verdachts der Untreue. Die übergeordnete Landesaufnahmebehörde Niedersachsen hat ein Disziplinarverfahren gegen den Leiter der Braunschweiger Behörde eröffnet. Geschätzter Schaden allein dort: bis zu fünf Millionen Euro.

„Es soll geprüft werden, ob er Unterlagen bewußt nicht an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet hat, obwohl dort Hinweise auf Straftaten vorlagen“, sagte Jens Grote, der Präsident der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen.

Aufgeflogen war der Sozialbetrug durch Nadja N., die ein Jahr für die Landesaufnahmebehörde in Braunschweig arbeitete. Sie erstellte Leistungsbescheide und zahlte Taschengeld an die Asylbewerber aus. Dabei fiel ihr und ihrer Kollegin ab Sommer 2015 auf, daß sich Sudanesen unter verschiedenen Namen und mit verändertem Aussehen immer wieder neu anmeldeten und Geld kassierten. Das gelang ihnen, weil keine Finderabdrücke genommen wurden.

Die Frauen alarmierten im Januar 2016 in 30 Einzelfällen direkt die Polizei. Später, als die Flut der Asylbewerber nachließ, nahmen sie sich noch einmal ihre Karteien vor und sammelten Fotos und Namen von 520 Flüchtlingen, bei denen sie Doppelidentitäten vermuteten. Ihre Vorgesetzten wollten, daß sie die Akten im Keller deponierten. Nadja N. ging jedoch damit im Mai 2016 zur Polizei (JF 5/17).

Die Sonderkommission Zentrale Ermittlungen der Braunschweiger Kriminalpolizei bearbeitete die Fälle. Allerdings unter erschwerten Bedingungen. So soll der Behördenleiter der Landesaufnahmebehörde in Braunschweig der Kripo gegenüber wenig auskunftsfreudig gewesen sein.

Nachdem der Betrugsskandal durch den NDR öffentlich gemacht wurde, erstattete der Bund der Steuerzahler in Niedersachsen gegen die Behördenleitung Anzeige wegen Untreue und Strafvereitelung im Amt. Er begründete dies damit, daß die Behördenleitung Hinweise auf einen möglichen massenhaften Sozialbetrug durch Asylbewerber unter den Tisch gekehrt habe und damit die Ermittlung von Straftaten verhinderte.

Am 27. Januar soll der Präsident der Behörde, Jens Grote, vor dem Innenausschuß erklärt haben: „Die Männer, die sich mithilfe von Mehrfachidentitäten Sozialleistungen erschlichen haben sollen, stammen alle aus dem Sudan. Deshalb habe der Standortleiter in Braunschweig Zweifel gehabt, ob es richtig sei, gegen die eine Volksgruppe vorzugehen.“ 

Der angeklagte Sudanese in Hannover wurde zu 21 Monaten auf Bewährung und 200 Sozialstunden verurteilt, ihm droht die Abschiebung.