© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/17 / 10. Februar 2017

Die Entfremdung nimmt zu
Chile/Argentinien: Mit legalen, aber auch illegalen Aktionen versuchen die Mapuche-Indianer ihre Not öffentlich zu machen / Minister geißelt „Terrorismus“
Michael Ludwig

Der Widerstand gegen die Globalisierung hat viele Gesichter – eines davon ist indianisch und zeigt sich in den kargen Weiten der patagonischen Steppe Südamerikas. Dort hat der italienische Modekonzern Benetton 1991 von der Companía de Tierras del Sud Argentino (CTSA) rund 900.000 Hektar Land erworben. Riesige Schafherden liefern hochwertige Wolle für dessen Produkte.

 Doch immer wieder flackern Unruhen auf, denn die Urbevölkerung der Region sieht sich von dem Konzern und der argentinischen Regierung im fernen Buenos Aires um Grund und Boden, kulturelle Identität und die Chancen  für ein besseres Leben gebracht.

Erst kürzlich protestierten Angehörige des Mapuche-Stammes gegen einen Zug, der speziell für Touristen geschaffen worden ist und Devisen ins Land bringen soll. Den Indianern ging es weniger darum, zahlungskräftige Ausländer abzuschrecken, als vielmehr ein sichtbares Zeichen für ihre Sache zu setzen. Sie blockierten die Gleise. 200 Nationalpolizisten und Angehörige der lokalen Ordnungskräfte gingen mit Schlagstöcken und Gummigeschossen gegen die Demonstranten vor. Das Ergebnis: Verletzte, Festnahmen und eine weitere Entfremdung zwischen der weißen Ordnungsmacht und der indigenen Bevölkerung.

Die Auseinandersetzungen zwischen Benetton und den Indianern begannen ein Jahr nach dem Aufkauf der riesigen Ländereien. Die Mapuche erkannten den Erwerb nicht an. Als sich aus Protest ein indianisches Ehepaar auf dem Gelände niederließ, klagte der Modekonzern gegen das Paar. Er bekam vor Gericht recht, der zuständige Richter ordnete die Räumung an. Seit dieser Zeit ist gewissermaßen Feuer auf dem Dach. Der argentinische Friedensnobelpreisträger Bürgerrechtler Adolfo Pérez Esquive schrieb einen offenen Brief an die Eigentümer von Benetton mit der Forderung, das von dem Mapuche-Ehepaar besetzte Stück Land an die Urbevölkerung  zurückzugeben. Benetton erklärte sich dazu bereit, doch die Indianer wollten sich damit nicht abspeisen lassen. Der Konflikt zwischen den rund 250.000 Ureinwohnern und ihren Nachbarn schwelt weiter. 

Schlimmer noch als in Argentinien sieht es diesbezüglich im Nachbarland Chile aus, in dem rund 600.000 Mapuche leben. Dort sind vor allem Konzerne der Fisch- und Holzindustrie sowie der Energiegewinnung tätig. Sie nehmen auf die ansässigen Indianer so gut wie keine Rücksicht – industrielle Anlagen zur Lachszucht vergiften die Gewässer, riesige Eukalyptus- und Kiefernplantagen zerstören mit ihren Monokulturen die Vielfältigkeit der ursprünglichen Landschaft. Die aufgestauten Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen entluden sich zuletzt bei einem Brandanschlag auf das Landgut der Siedler Werner Luchsinger und Vivianne McKay, die beide dabei ums Leben kamen.

Die chilenischen Behörden griffen mit großer Härte durch. Sie wendeten das aus der Zeit der Militärdiktatur stammende Antiterrorismusgesetz an und verhafteten elf Mapuche, darunter die 60 Jahre alte Francisca Linconao, die in ihrer Volksgruppe als spirituelle Autorität und Heilerin gilt. Sie lebt seitdem unter Hausarrest und sorgte Anfang Januar mit einem Hungerstreik für internationale Aufmerksamkeit. Doch sowohl in Santiago de Chile als auch in Buenos Aires zeigt man sich unversöhnlich. Für Pablo Durán, Minister der argentinischen Provinz Chubut, sind die Mapuche-Aktivisten nur eins: „Terroristen“.