© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/17 / 10. Februar 2017

Pankraz,
P. Oswalt und die Garnisonkirche

Was lange währt, wird nicht immer gut. Oft versinkt es sogar im Sumpf stinkender Klischees und Rankünen, wie etwa der jahrzehntealte Streit um den Wiederaufbau der historischen Garnisonkirche in Potsdam. Die neueste einschlägige Sumpfblüte war vorige Woche in einem Interview mit der Berliner Tageszeitung Die Welt mit dem Ex-Bauhaus-Direktor Philipp Oswalt zu besichtigen, in dem dieser mit Aplomb seinen Austritt aus der Evangelischen Kirche bekanntgab, weil diese sich jetzt entschlossen habe, den Turm des im Zweiten Weltkrieg zerbombten und später von den Kommunisten ganz abgerissenen Gotteshauses wiederaufzubauen.

Die Potsdamer Garnisonkirche, so zeterte der Bauhäusler, sei immer „ein Treffpunkt antidemokratischer und rechtsradikaler Kreise“ gewesen, schon zur Preußen- und zur Kaiserzeit und während der Weimarer Republik. Und während der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 habe sie eine zentrale symbolische Rolle gespielt, und zwar eine unheilvolle. Sie stehe für den Pakt des Militärs und der altpreußischen Aristokratie mit Hitler. Ihr auch nur teilweiser Wiederaufbau würde böse Traditionen neu erwecken und sollte deshalb unbedingt verhindert werden.

An sich verdiente die Oswaltsche Verquirlung historischer Tatbestände mit aktuellen Propagandaphrasen kein Wort seriöser Erwiderung, aber der Fall „Potsdamer Garnisonkirche“ ist doch zu gravierend, um seine Erörterung politisch korrekten  Kirchenaustretern zu überlassen.Er ist ein wichtiger Teil unserer modernen Restaurationskultur, vergleichbar mit dem Fall „Dresdener Frauenkirche“, und kann einem zeigen, wie weit die verantwortlichen Kräfte seit dem Wiederaufbau der Frauenkirche in Sachen Restaurationskultur heruntergekommen sind.


Was Entstehungsgeschichte und historische Bedeutsamkeit betrifft, kann die Potsdamer Garnisonkirche ohne weiteres mit der Dresdener Frauenkirche konkurrieren. Das von Philipp Gerlach zwischen 1730 und 1735 im Auftrag des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I. errichtete Gebäude war von Anfang an als zentraler lebensweltlicher wie architektonischer Orientierungspunkt der Stadt Potsdam angelegt. Die Stadt sollte nicht nur Residenzstadt sein, sondern ebenso Bürgerstadt – und eben auch „Garnisonstadt“, Militärbasis, letzter Verteidigunghort in Notfällen.

Ihre Lage zwischen königlichem Schloß, „holländischen“ Kaufläden und Werkstätten und dem „Langen Stall“ legte davon Zeugnis ab. Der „Lange Stall“ war übrigens das räumlich größte Bauwerk der Stadt, ein Reit- und Exerzierhaus, 1734 in malerischer Fachwerkbauweise errichtet und bis zu seiner Zerbombung im Zweiten Weltkrieg eine große Besucherattraktion in der Innenstadt. Das heute an seiner Stelle stehende „moderne“ Geschäfts- und Bürohaus ist dagegen purer Hohn auf jederlei innerstädtische Attraktivität, eine Schande für Potsdam.

Absoluter architektonischer Höhepunkt des alten Potsdam waren freilich nicht der Lange Stall und auch nicht das später geschaffene Schloß Sanssouci oder die von König Friedrich Wilhelm IV. inaugurierten antikisierenden Prachtbauten an der Peripherie. Höhepunkt in jeder Beziehung war und blieb der gewaltige Turm der Garnisonkirche, an dem sich auch jetzt die öffentliche Auseinandersetzung entzündet hat. Er war fast hundert Meter hoch, hatte ein wuchtiges Fundament und verjüngte sich stufenweise nach oben, endend in einer Turmspitze, deren reiche Ornamentik zu vielerlei Interpretationen Anlaß gegeben hat. 

Verglichen mit dem Turm nahm sich das Schiff der Garnisonkirche eher bescheiden, ja fast beiläufig aus. In Erinnerung blieb es vor allem wegen seiner machtvollen, von Joachim Wagner geschaffenen Orgel, deren Klang schon im 19. Jahrhundert legendär war und an dessen Wiedererweckung die Musikologen zur Zeit eifrig arbeiten. Anhand noch existierender Unterlagen ist es ja möglich, die Wagner-Orgel klanglich zu rekonstruieren. Die hohen dafür erforderlichen Mittel wurden von dem Versandhausgründer Werner Otto gestiftet,  ähnlich wie seinerzeit der Mäzen Hasso Plattner den Wiederaufbau des Potsdamer Schlosses finanzierte.


Für eine vollständige Restauration der Garnisonkirche fehlen aber weiter die Finanziers. Das ist eben der Unterschied zum Wiederaufbau der Dresdener Frauenkirche und des sie umgebenden Altststadtviertels. In Dresden waltet ein „freundlicher, höchst lebendiger  Stadtgeist“,wie Pankraz es einmal nennen möchte, der über alle institutionellen Grenzen hinwegreicht, Staat und Fördervereine und private Mäzene eng miteinander verbindet in der ununterdrückbaren Absicht, das Bild ihrer geliebten Stadt zu bewahren, es wiederherzustellen und zu schützen, über alle sonstigen Differenzen hinweg.

In Potsdam, einem architektonisch und historisch durchaus vergleichbaren Ort, gibt es diesen freundlichen Stadtgeist leider nicht. Es hat dort in der jüngsten Geschichte zuviel Bevölkerungswechsel gegeben, so daß der urbane Zusammenhalt rapide geschwunden ist, zu viele Zusammenballungen politisch mächtiger Ideologen und Parteifunktionäre, zuviel politische Korrektheit. Die wohlmeinenden Mäzene und erklärten Freunde der Stadt, neben Plattner und Otto etwa Günther Jauch oder Wolfgang Joop, finden kaum geneigte Vertragspartner in den städtischen Behörden.

Und die Evangelische Kirche, die sich jetzt dazu aufgerafft hat, wenigstens den Turm ihrer jahrhundetealten Kirche wiederaufzubauen? Ach, auf die ist kein Verlaß! Ihre Bischöfe und Pastoren schwanken wie der Löwenzahn im Wind und sind durch politische Hetztiraden wie die von Oswalt in der Welt nur allzu leicht einzuschüchtern. „Herr Huber, übernehmen Sie endlich!“ kann Pankraz da nur rufen.

Der einflußreiche evangelische Altbischof Wolfgang Huber ist nämlich als leidenschaftlicher Befürworter eines Wiederaufbaus der Garnisonkirche bekannt, muß aber bei fälligen Auseinandersetzungen, wie Kollegen berichten, „immer zum Jagen getragen“ werden. Nun, dann tragt mal schön!