© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/17 / 10. Februar 2017

Der lange Weg
100.000 Jahre Kulturgeschichte und ihre Voraussetzungen: Eine Ausstellung in Bonn läßt die Geschichte der Menschheit kurz Revue passieren
Felix Dirsch

Eine Ausstellung, die 100.000 Jahre Kulturgeschichte darstellen will, nimmt sich viel vor. Das gilt erst recht, wenn die Präsentation übersichtlich sein will. Die Auswahl markanter Artefakte ist vor einem solchen Hintergrund um so schwerer. Das ambitionierte Projekt verdeutlicht besonders die Schwellen der Menschheitsgeschichte, die das Zusammenleben des Homo sapiens revolutionierten und auf neue Grundlagen stellten.

Die Ausstellung in der Bundeskunsthalle wäre nicht ohne intensive Zusammenarbeit mit dem Israel-Museum (Jerusalem) zustande gekommen. Herausragende Objekte, die in Bonn bestaunt werden können, sind Leihgaben dieser Institution. Den narrativen Rahmen haben die Initiatoren mit dem Bestseller des israelischen Historikers Yuval Noah Harari („Eine kurze Geschichte der Menschheit“) gefunden. Etliche Auszüge aus dieser grundlegenden Darstellung zieren die unterschiedlichen Stationen.

Die Kulturgeschichte des Menschen beruht auf Voraussetzungen, die auf einer Tafel am Beginn der Ausstellung gezeigt werden. Dem Urknall, ungefähr vor 13,5 Milliarden Jahren, folgte rund 300.000 Jahre später der Anfang der Bildung von Atomen, die sich zu Molekülen verbanden. Wiederum 3,8 Milliarden Jahre danach entstanden organische Zellen.

Die Schau ist in drei große Abschnitte gegliedert: kognitive Revolution, Landwirtschaft und Industrielle Revolution. Die Ausstellungsmacher haben jeder der insgesamt 15 Stationen Werke moderner Kunst zugeordnet, die die jeweilige Daseinsstufe versuchen zu interpretieren. Als Deuter fungieren zeitgenössische Künstler wie Miroslaw Balka, Bruce Conner und Mark Dion. 

Im ersten großen Abschnitt sind etwa prähistorische Faustkeile aus dem Jordantal zu sehen, aber auch Reste einer Feuerstelle in der gleichen Region. Eine Video-Installation von Jan Dibbets zeigt ein brennendes Kaminfeuer. Mit einem solchen Motiv verabschiedete der Westdeutsche Rundfunk 1969 die Zuschauer, wenn das Programm endete. Gemeint ist, daß das TV-Gerät ein Ersatz für die Feuerstelle geworden ist, vor der man sitzt. Besonders sehenswert sind Schädel von Menschen aus Galiläa, frühen Vorfahren des Jesus von Nazareth.

Früh mußte der Mensch ins Ökosystem eingreifen, wollte er überleben. Das wird im zweiten Teil behandelt. Schon vor der Erfindung von Rad und Schrift verschwanden rund 100 Säugetierarten. Dieser Tatbestand wird nicht verschwiegen, ebenso wenig wie spezielle Gemeinschaftsformen, in denen der Mensch überleben konnte. Familienstrukturen, die damals anders als heute waren, werden anschaulich präsentiert.

Kultische Figuren tauchten vor rund 10.000 Jahren auf. Skulpturen mit unübersehbar weiblichen Rundungen aus dem Jordantal symbolisieren die Fruchtbarkeit – ein Charakteristikum, das besonders im Zusammenhang mit der Seßhaftwerdung des Menschen wichtig wird.

Daß die Transzendenzorientierung eine wesentliche Rolle im Dasein spielt – egal, welches Verhältnis man zu ihr gewinnt –, wird an einer zentralen Stelle der Ausstellung deutlich. Von Mark Wallinger („Ecce homo“) stammt der von einem Götterpantheon umgebende Jüngling als Marmorskulptur mit einer Dornenkrone aus Stacheldraht und einem Lendenschurz bekleidet. Dieser moderne, kirchlicher Exegese entkleidete Christus ist Zeichen für einen zunehmenden Religionspluralismus auch im Abendland.

Die sogenannte neolithische Revolution schuf ein neues Verhältnis des Menschen zu seiner natürlichen Umwelt, die mehr und mehr planvoll verändert wird. Manche Dörfer mutierten bald zur Stadt. Am Ende einer langen Kette regelmäßiger Aussaat und Ernte stehen die Belieferungen des Supermarkts, letztlich die omnipräsente Konsumkultur. Das Zusammenleben verdichtete sich, Gesetze spielten eine immer größere Rolle, ebenso Waren als Tauschgüter und später Geld. Mit der belebten Handels-tätigkeit gewannen Schrift, Maße und Zahlen immer größere Bedeutung. Das Denken begann abstrakter zu werden. 

Eine neue Revolution begann mit dem Maschinenzeitalter und seinen Vorläufern, zu denen auch der Buchdruck gehört. Diese Epoche wird im dritten Teil der Ausstellung beleuchtet. Hier fehlen markante Exponate. Aber das macht nichts, schließlich bewegt sich die Menschheit seit dem späten 18. Jahrhundert rasant auf die Gegenwart zu. Bis zur heutigen Globalisierung war es nur noch ein kleiner Sprung. Verdeutlicht wird das in einer Videoinstallation, die ein demoliertes Büro mit vielen umherfliegenden Papieren präsentiert. Börsencrashs sind eine Realität der modernen Finanzwelt. Eine Video-Projektion zeigt Menschen, die ein vier Meter hohes und zwölf Meter breites Datenstrudel-Motiv bilden. In jeder Minute bauen sie eine große Digitalanzeige um. Ihnen wird dadurch klar, wie kurz dieser Zeitraum ist.

Am Ende des Marsches mit Siebenmeilenstiefeln findet sich eine vorerst letzte Revolution, die wissenschaftliche. Hier spannt sich der Bogen von Einsteins Relativitätstheorie über die in einem Schwarz-Weiß-Film gezeigte Explosion einer Atombombe bis zur  Gentechnik.

Natürlich kann die Schau nicht alle Erwartungen erfüllen. Mancher hätte sich vielleicht ein durchgehendes Thema, einen roten Faden gewünscht, etwa die tiefe Ambivalenz des Menschen als Kulturschöpfer und Naturzerstörer. Doch auch so ist überraschend, wieviel bei relativ wenigen Exponaten zu sehen ist.

Die Ausstellung ist bis zum 26. März in der Bundeskunsthalle, Friedrich-Ebert-Allee 4, täglich außer montags von 10 bis 19 Uhr, Di./Mi. bis 21 Uhr, zu sehen. Telefon: 0228 / 91 71–200

 www.bundeskunsthalle.de