© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/17 / 10. Februar 2017

Eine Zeitung trauert der DDR hinterher
Diesen Monat wird die linksradikale „Junge Welt“ 70 Jahre alt
Andreas Albrecht Harlaß

Die Klassenzimmertür in der Karl-Marx-Städter Andréschule flog 1973 mitten im Unterricht auf. Herein trat ein Herr im „Präsent 20“-Sakko, SED-Parteiabzeichen am Revers und Zeitungen in der Hand. Junge Welt stand auf dem Titel. Die Deutschlehrerin schüttelte dem „Genossen“ die Hand, kurz darauf wanderte ein A4-Bogen durch die Bankreihen, auf dem jeder Schüler Name und Adresse einzutragen hatte. Es war die Aboliste der Klasse 8b für das „Organ des Zentralrates der FDJ“. Sie löste automatisch das Abo der Pionierzeitung Trommel ab. Mit 14 Jahren war man kein Pionier mehr, sondern fortan „FDJler“, was gleichbedeutend mit automatischer Pflichtlektüre der Jungen Welt war. Wer sich weigerte, wie die Pfarrerstochter, wurde negativ beim Elternabend erwähnt. So gesehen war die DDR nach heutigen Maßstäben ein wahres Drückerparadies.

Bis heute ist die Junge Welt die einzige wahrnehmbare marxistisch orientierte Tageszeitung, die verklärt über die längst abgelöste marxistisch-kommunistische Welt berichtet. Das Blatt wird am 12. Februar 70 –  bis 1952 als Wochenblatt erschienen, dann als Tageszeitung. Es kostete konstant zehn Pfennige. Soviel wie weiland ein Kaugummi-Würfel oder 15 Pfennige weniger als eine Zigarette der Marke „Juwel“.

Billigpreis und Abozwang – es ist  wohl nicht verwunderlich, daß sich die Junge Welt in den siebziger Jahren zur meistgelesenen Tageszeitung zwischen Saßnitz und Zittau mauserte. Bis zur Wende erreichte sie eine Auflage von 1,3 Millionen Exemplaren.

Bereits im Dritten Reich gab es eine „Junge Welt“

Weniger bekannt ist bis heute wohl die Namenstradition ins Dritte Reich. 1940 beispielsweise prangte auf der Titelseite der „Jungen Welt“ (Reichszeitschrift der Hitler-Jugend) ein HJ-Fahne- schwingender „Pimpf“. Im Blatt wurde ausführlich über die Reise einer Gruppe Hitlerjungen ins verbündete Japan berichtet. Die braune Vergangenheit des Zeitungsnamens dürfte den FDJ-Gründungsmitgliedern allerdings nicht bekannt gewesen sein, denn in der DDR galt alles, was ansatzweise nationalsozialistischen Stallgeruch hatte, als verpönt. Nach eigener offizieller Lesart beharrt die Redaktion auf das Gründungsjahr 1947.

Der Zeitungsinhalt war in der DDR austauschbar mit beinahe jeder sozialistischen Tageszeitung: Parteibeschlüsse, Planerfüllungs-Jubelarien, Schelte gegen den „faschistischen Klassenfeind“ jenseits der Mauer. Gelesen wurde die Zeitung hauptsächlich wegen des Sportteils und der Rubrik „Unter vier Augen“ von Jutta Resch-Treuwerth. Ab 1971 übernahm sie diese Kolumne und beantwortete anonymisierte Leserbriefe zu Sexualfragen. Nach eigenen Angaben sollen es bis 1992 insgesamt 22.000 gewesen sein. Tabus gab es keine: Geschlechtskrankheiten, Partnertausch, Fremdgehen, Impotenz – alles was neben der Nachttischlampe passieren konnte, wurde thematisiert. Was Dr. Sommer für die Bravo-Leser bedeutete, war Jutta Resch-Treuwerth für die Junge Welt. „Beischlaf-Jutta“ (NVA-Jargon) wurde 1981 mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Bronze ausgezeichnet. Ab März 2013 veröffentlichte sie diese Rubrik erneut als regelmäßige Kolumne. Vor zwei Jahren starb die wohl bekannteste Kolumnistin der DDR an Krebs.

1989 erlebte das Blatt – so wie alle DDR-Zeitungen und -Zeitschriften – die entscheidende Zäsur. Am Tag nach dem Mauerfall titelte die Junge Welt: „Das war Freitag nacht in Berlin los! Nur mal kurz auf einen Sprung nach Kreuzberg“ – dazu ein Bericht des Zentralrates der FDJ zu den „neuen Reiseregeln“. Aber wer wollte noch „FDJ-News“ lesen, wenn es nun Bild, Spiegel und Pornohefte gab? Im Januar 1990 erfolgte die Abkoppelung von der FDJ, im Untertitel stand nun „Linke sozialistische Tageszeitung“. Der Verlag „Junge Welt“, formierte sich als GmbH, und es gab die erste Preiserhöhung von 10 auf 40 Pfennige. 

Die Auflage sank schnell auf 170.000, nachdem sie kurz nach der Wende noch bei 1,6 Millionen gelegen hatte. Im April 1991 übernahm die West-Berliner Medienagentur Schmidt und Partner, vier Jahre später kam der Konkurs. Nach eigenen Angaben hat die Junge Welt aktuell eine Auflage von 19.000 Exemplaren und steckt weiterhin tief im Überlebenskampf, der hauptsächlich durch Abonnements und Spenden fortgesetzt werden kann.

Am 13. August 2011, zum 50. Jahrestag des Baus der Berliner Mauer, gelang der Zeitung ihr wohl geschmacklosester und letzter aufsehenerregender Aufmacher. Unter der Überschrift „Wir sagen an dieser Stelle einfach mal Danke“ war die DDR-Kampfgruppe abgebildet, die das Brandenburger Tor am 13. Mai 1961 vor der eigenen Bevölkerung bewachte, die die DDR verlassen wollte. 

Das ging sogar der Linkspartei zu weit. Sie drohte mit einem Anzeigen-boykott.