© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/17 / 10. Februar 2017

Nichts für den asymmetrischen Krieg
Selbst aktive Schutzkonzepte helfen herkömmlichen Kampfpanzern in urbanem Gelände nur begrenzt
Hans Brandlberger

Die Operation „Schutzschild Euphrat“, mit der die türkischen Streitkräfte seit August 2016 den Islamischen Staat (IS) in Nordsyrien aufreiben und nebenbei kurdische Milizen in Schach halten wollen, ist kein Spaziergang. Kurz vor Weihnachten war es IS-Kämpfern sogar gelungen, eine mit Kampfpanzern geführte Attacke abzuwehren. Dabei setzten sie mehrere Leopard 2A4 mit älteren (mutmaßlich von der irakischen oder syrischen Armee erbeuteten) Kornet- oder Fagot-Lenkflugkörpern außer Gefecht.

Experten vermuten, daß der Hohlladungsstachel des Flugkörpers durch eine Turmseite bis ins Munitionslager des Panzers vorgedrungen ist und die dortigen Bestände zur Explosion gebracht hat. In der Gerüchteküche der sozialen Medien wurde sogar kolportiert, daß ganze zehn Leopard 2 sowie ein Sabra-Panzer (eine israelische Fortentwicklung des amerikanischen M60) zerstört worden seien. Offiziell bestätigt wurde nur der Verlust von drei Panzerfahrzeugen.

Leopard 2 lediglich eine psychologische Waffe?

Panzeroperationen in urbanem Gelände sind riskant. Vor allem die russischen Streitkräfte haben im ersten Tschetschenienkrieg blutiges Lehrgeld bezahlt. Auch der deutsche Leopard 2 war nie „unverwundbar“ – weder zur Zeit seiner Einführung in der Spätphase des Kalten Krieges noch in seiner aktuellsten Version A7. Der Leopard-Nimbus rührt in erster Linie daher, daß bislang keine der Nutzernationen in einen militärischen Konflikt verwickelt war, in dem er seine Fähigkeiten hätte unter Beweis stellen müssen. Wo er zum Einsatz kam, wie etwa bei der Bundeswehr im Kosovo oder bei den Kanadiern in Afghanistan, war er eher eine psychologische Waffe, als daß man ihm eine operative Aufgabe zuweisen wollte. Auch die Saudis scheinen ihn bei ihrem Jemen-Feldzug zu schonen und geben lieber „Oldtimern“ den Vorzug.

Panzer sind auf eine bestimmte Rolle hin optimiert und in gewissen Szenarien nur eingeschränkt einsetzbar. Als Duellwaffe sind sie das geeignete Mittel, um feindlichen gepanzerten Verbänden entgegenzutreten. Hierbei erwarten sie die Bedrohung primär von vorn. Da jede Verstärkung des konventionellen Schutzes durch immer mehr Stahl eine Einschränkung der Mobilität bedeutet, wurde der Schutz der Seiten, des Dachs und des rückwärtigen Bereichs vernachlässigt. Dies ist im urbanen Gelände fatal: Infanteristen können hier oft unbemerkt seine Schwachstellen, etwa den Turmdrehkranz, unter Beschuß zu nehmen. Außerdem sind die Stärken aller Panzerungen – in Walzstahläquivalent/RHA – gemessen annähernd bekannt.

Da die Bundeswehr fast zwei Jahrzehnte lang davon auszugehen hatte, daß ihre Kernaufgabe nicht mehr in der klassischen Landes- und Bündnisverteidigung, sondern in Auslandseinsätzen à la Kosovo und Afghanistan läge, spielte die Panzerwaffe in ihren Planungen – ausgedrückt in der aktuellen Heeresstruktur „Heer 2011“ – eine eher untergeordnete Rolle. Erst mit der Ukraine-Krise hat sich der Fokus so weit verschoben, daß die verbliebenen 225 Kampfpanzer als nicht ausreichend betrachtet wurden. Die Ankündigung, 103 weitere Fahrzeuge von der Industrie zurückzukaufen, harrt aber weiter einer Umsetzung.

Das Gros der zukünftigen Panzerflotte der Bundeswehr wird sich auf dem Ausrüstungsstand A6 oder A7 befinden, also moderner und auch besser geschützt sein als die Version A4, die in Syrien zum Einsatz kam. Für den Kampf in urbanem Terrain gegen einen asymmetrisch operierenden Feind ist dies aber völlig unzureichend. Hier rächt sich, daß Vorschläge der Industrie, die eine Weiterentwicklung für ein derartiges Szenario ermöglicht hätten, nicht aufgegriffen („MBT Revolution“ von Rheinmetall) oder nach anfänglicher Erprobung (Variante PSO/ Leopard 2A7+ von Krauss-Maffei Wegmann) zurückgestellt wurden.

Abstandsaktive Schutzkonzepte

Drei unterschiedliche Konzepte versuchen, den Schutz von Kampfpanzern zu verbessern, ohne dabei das exorbitante Gewicht weiter ausufern zu lassen: Das simpelste ist die sogenannte Käfigpanzerung (Slat Armour), ein um das Fahrzeug gespanntes Gitternetz, das Flugkörper aufhält oder zur vorzeitigen Detonation bringt. Ein wesentliches Manko dieser Lösung ist, daß die Beweglichkeit des Panzers weiter eingeschränkt wird und sich in dem Gitter auf der Fahrt auch andere Gegenstände als Flugkörper verfangen können. Zudem bleibt eine Restwahrscheinlichkeit, daß eine Hohlladung durch die Maschen des Netzes schlüpft – daher spricht man hier auch von „statistischem Schutz“.

Reaktivschutzlösungen setzen auf einen zwischen Stahl- oder Keramikplatten eingearbeiteten Sprengstoff, der beim Aufschlag eines Flugkörpers detoniert und durch den Explosionsdruck dessen Eindringen entgegenwirkt. Das hilft bei Hohlladungen, wie sie zum Beispiel Lenkflugkörper (LFK) tragen. Gegen Wuchtgeschosse (APFSDS/KE-Munition) hilft das kaum, genausowenig wie bei Tandem-Hohlladungen. Die besondere Herausforderung liegt hierbei darin, eine Substanz zu finden, die tatsächlich nur in einer derartigen Situation (und nicht etwa bereits beim Beschuß aus Handwaffen) ihre Wirkung entfaltet.

Die technisch anspruchsvollste und daher auch entsprechend teure Lösung bieten abstandsaktive Schutzkonzepte wie beispielsweise das von Rheinmetall angebotene und auf einer Entwicklung des Ingenieurbüros Deisenroth basierende Active Defence System (ADS). Das Grundkonzept wurde vom israelischen Staatskonzern Rafael entwickelt. Das System „Trophy“ bewährt sich auf Merkava-Panzern . Im Bruchteil einer Sekunde erfassen sie anfliegende Bedrohungen und aktivieren entweder gerichtete Energie (ADS) oder Projektile (Trophy) als Gegenmaßnahme. Da beide Systeme eine zerstörerische Wirkung fürs nähere Umfeld haben (eigene Infanterie, Zivilisten), ist das System abschaltbar und mit einer audiovisuellen Warnung versehen.

Die Nato-Truppen haben bislang kaum auf aktive Gegenmaßnahmen gesetzt, die anfliegende LFK „besiegen“ können, etwa die Unterbrechung der Steuerung bis hin zum Einschuß von Splittern in die LFK-Flugbahn. Der Puma, Nachfolger des Bundeswehr-Schützenpanzers Marder, soll solche Aktivsysteme erhalten. Die russischen Kampfpanzer haben solche Soft-/Hardkill-Systeme („Shtora“ und „Arena“) seit Anfang der achtziger bzw. neunziger Jahre an Bord.

Nicht nur die Kollateralschadengefahr erklärt die Zurückhaltung bei der Einführung derartiger Systeme. Ein Panzer ist dort, wo eine Gegenmaßnahme ausgelöst wurde, fortan ungeschützt und daher ein lohnendes Ziel für einen weiteren Flugkörper. Gegen einen Schwarmangriff (etwa durch bewaffnete Kleindrohnen) bietet keine der momentanen Lösungen einen Schutz. Der Panzerwaffe droht somit zwar nicht das Schicksal der Kavallerie. Aber sie wurde auf ein klassisches Schlachtenszenario hin optimiert, das im Zeitalter asymmetrischer Kriege nur eines von vielen ist.

Krauss-Maffei Wegmann GmbH & Co. KG: www.kmweg.de

Rheinmetall Defence: www.rheinmetall.com/de/