© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/17 / 10. Februar 2017

Die „Grüne Hölle“
Ringtaxi, Musikfestival und Hunderte PS sind hier zu Hause
Verena Inauen

Bis zu 2.500 Personen arbeiteten in den Jahren 1925 bis 1927 an dem Bau der Rennstrecke in der Eifel. Mit einer rekordverdächtigen Geschwindigkeit sollten nämlich nicht nur die späteren Rennfahrer über den Ring flitzen, sondern auch dessen Fertigstellung gelingen. Die „Grüne Hölle“, wie der Nürburgring wegen seiner gefahrvollen Streckenführung durch die Eifelwälder genannt wird – der britische Formel-1-Pilot und dreimalige Weltmeister Jackie Stewart prägte den Begriff –, war bereits als Legende geboren.

1934 feierte Mercedes dort die Geburtsstunde des „Silberpfeiles“, 1954 nahm die Formel 1 den Kurs als fixen Bestandteil in den Rennkalender auf. Der „Große Preis von Deutschland“ wurde am Nürburgring aus der Taufe gehoben. Doch sollte er in dieser Form nicht lange am Leben bleiben.

Als der österreichische Spitzenrennfahrer Niki Lauda dort im August 1976 für Ferrari antrat, ereignete sich ein folgenschwerer Unfall. Sein Wagen prallte in der Nordschleife gegen eine Felswand und ging in Flammen auf, sein Gesicht wurde dabei schwer verletzt. Der Abtransport mit dem Rettungswagen wäre planmäßig nur über einen 20 Kilometer langen Umweg möglich gewesen, die Einsatzkräfte entschieden sich für eine Abkürzung gegen die Fahrtrichtung.

Mit Herzklopfen in die Lauda-Kurve

Seit jenem Sommer hat sich die Formel 1 nicht mehr auf die Nordschleife gewagt. Erst nach dem Bau einer lediglich fünf Kilometer langen Umfahrung feierte der Grand-Prix dort 1985 seine Rückkehr und blieb zumindest bis 2014. Durch Überwerfungen mit dem neuen Geschäftsführer der Capricorn Nürburgring, Carsten Schumacher, und horrenden finanziellen Anforderungen wandte sich die Formel 1 endgültig von der anspruchsvollen Strecke ab. Der Region drohte das Aus.

Doch Motorsportbegeisterte verhalfen dem Ring zu einem neuen Aufschwung. Denn die gefährlichen 22 Kilometer der Nordschleife blieben erhalten. Und zogen seither sowohl PS-Fanatiker als auch Unternehmen und Autobauer an. Die Grüne Hölle begann wieder, schwarze Zahlen zu schreiben und sicherte durch den Bau von Feriendörfern, Hotels, das Organisieren von Messen und Großveranstaltungen das wirtschaftliche Überleben der ganzen Region.

Ein besonderer Bestandteil davon ist neben dem jährlichen Musikhöhepunkt „Rock am Ring“ aber auch das „Ringtaxi“. Mit mehreren hundert Kilometern pro Stunde und einer noch höheren Anzahl an PS können Autobegeisterte seit zehn Jahren über die spektakuläre Nordschleife rasen. Mit 560 Pferdestärken und 320 Stundenkilometern versetzt etwa die Fahrt in einem BMW M5 den Insassen einen heftigen Adrenalinkick. Zur Auswahl stehen aber auch leistungsstarke Porsche- und Audi-Modelle, mit denen an der Seite eines Rennprofis die 73 Kurven als Co-Pilot ausgekostet werden können. Ein englischer Journalist behauptete 1927, die waghalsigen Straßenkrümmungen seien einem „torkelnden Riesen im Vollrausch“ zu verdanken, den man losgeschickt habe, um die Strecke festzulegen.

Neben klappernden Pritschenwagen, auffrisierten VW-Bussen oder knallgelben Ferraris, deren Besitzer die Strecke privat befahren können, testen aber auch internationale und speziell deutsche Autobauer ihre Motoren auf dem legendären Ring. Vor allem wenn der Winter Einzug hält, der Untergrund auf den unzähligen Kurven glatt und gefroren ist, bieten sich den Autotestern die besten Bedingungen für lebens- und grenznahe Fahrten mit den Top-Modellen von morgen. Bremsverhalten, Beschleunigung, Bereifung oder Sicherheitsausrüstung werden heute auf jenem Streckenabschnitt bewertet, auf dem Niki Lauda vor 40 Jahren tragisch verunfallte. Unter Stammkunden der Nordschleife wurde die Kurve sogar nach ihm benannt.

Ein Ort, der vor wenigen Jahren noch drohte, in den Geschichtsbüchern zu verschwinden, schreibt heute selber Geschichte. Jährlich kommen über eine Million Besucher in die Eifel und nutzen die vielfältigen Angebote rund um die Rennstrecke. Angefangen von Firmentagungen, Familienausflügen, Musikveranstaltungen oder turbulenten Fahrten mit Vollgas, ist in der Grünen Hölle trotz des von vielen Motorsportgrößen bedauerten Abzugs der Formel 1 immer noch alles möglich.