© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/17 / 17. Februar 2017

Geldpolitischer Amoklauf
Finanzsystem: Target 2 und die Vermögensumschichtung in der Eurozone
Bruno Bandulet

Etwas ist faul am Erfolgsmodell Deutschland. „Das deutsche Problem“, schrieb die FAZ, besteht in der Tat darin, daß der Exportweltmeister Deutschland Jahr für Jahr steigende Leistungsbilanzüberschüsse anhäuft, daß die Devisenreserven der Bundesbank aber nur mäßig zulegen und daß das Netto-Auslandsvermögen Deutschlands nur 1.476 Milliarden Euro ausmacht. Die Durchschnittsvermögen hierzulande bleiben im internationalen Vergleich bescheiden, der Lohn der Anstrengung fällt mager aus.

Daß – neben anderen Gründen – auch der Euro daran schuld sein könnte, unterschlägt das Blatt und verschweigt, daß die Hälfte dieses Netto-Auslandsvermögens aus den berüchtigten Target-2-Forderungen der Bundesbank besteht. Aus elektronischen Forderungen, die die Bundesbank als Kapitalanlage verbucht, von denen aber niemand weiß, ob und wann und in welcher Höhe sie jemals zurückgezahlt werden. Daß das Eurosystem auf schwer durchschaubare Weise Deutschland ausbeutet und vielleicht sogar diesen Zweck hat, ist ein Skandal, der im Bundestagswahlkampf auf die Tagesordnung gehört.

Das Eurosystem und die gesamte 2010 in Gang gesetzte Euro-Rettungsmaschinerie bedienen sich einer Vielzahl von Akronymen, die zum Zweck der Verschleierung erfunden wurden. Wer kann sich schon etwas unter der Wortschöpfung „Target“ vorstellen? Ausgeschrieben heißt das: Trans-European Automated Real-time Gross Settlement Express Transfer System. Auf deutsch: Transeuropäisches automatisiertes Echtzeit-Brutto-Zahlungs-Expreß-Transfersystem. Das System dient dazu, Geldüberweisungen zwischen den Euroländern zu tätigen und zu messen, welche von Firmen, Privatpersonen oder öffentlichen Institutionen bei deren Geschäftsbanken in Auftrag gegeben werden. Dabei können bei den nationalen Notenbanken des Eurosystems größere positive oder negative Salden entstehen, sie müssen es aber nicht.

Bis zum Ausbruch der Weltfinanzkrise 2008, die wiederum die Eurokrise auslöste, waren die Target-Salden der Eurozentralbanken mehr oder weniger ausgeglichen. Bis zum Höhepunkt der Eurokrise 2012, als die Währungsunion zu platzen drohte, explodierten dann die Target-2-Forderungen allein der Bundesbank auf 751 Milliarden Euro. Danach gingen sie zurück, und seit 2015 steigen sie erneut an.

Ende 2016 wurde mit einem Saldo von 754,2 Milliarden Euro der alte Höchststand wieder erreicht – ein klares Indiz dafür, daß die Eurokrise unter der Oberfläche weiterschwelte. Ende Januar meldete die Bundesbank einen sprunghaften Anstieg auf 795,6 Milliarden. Die Devisenreserven der Bundesbank mit 175 Milliarden und die Goldreserven mit 119 Milliarden Euro Gegenwert nehmen sich dagegen bescheiden aus. Ebenso das Haftungsrisiko Deutschlands aus den offiziellen Euro-Rettungshilfen, das von der Bundesregierung im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht auf „nur“ 310 Milliarden beziffert wurde. Eine Summe, die immerhin dem Bundeshaushalt eines ganzen Jahres entspricht.

Die Target-Überziehungskredite können sich Länder wie Griechenland, Spanien und Italien „quasi aus dem gemeinsamen Kassenautomaten“ ziehen, wie Hans-Werner Sinn es einmal formulierte. Sie sind grundsätzlich nichts anderes als die öffentlichen Rettungskredite, über die der Bundestag abstimmen mußte. Nur werden sie geräuschlos und unter der Hand vergeben. Finanziert werden damit zum Beispiel die Kapitalflucht reicher Bürger aus den Krisenstaaten oder Leistungsbilanzdefizite oder – das ist relativ neu – eine gigantische Umtauschaktion zu Lasten Deutschlands, der Niederlande und Luxemburgs, wo ebenfalls erhebliche Target-Forderungen in den Büchern stehen. Die Umtauschaktion geht laut Sinn so vonstatten, daß beispielsweise die spanische Notenbank spanische Staatsanleihen von angelsächsischen Hedgefonds und anderen Adressen zurückkauft, damit den spanischen Staat entschuldet und dann die Bundesbank bittet, ihr neue Euros zu kreditieren. Im Endeffekt werden auf diese Weise Staatspapiere der überschuldeten Länder, auf die bisher Zinsen zu zahlen waren, gegen unverzinsliche Verbindlichkeiten gegenüber der Bundesbank eingetauscht.

Als Sinn und das von ihm damals geleitete Ifo-Institut den Target-Mechanismus 2011 erstmals aufdeckten, schlug ihnen von seiten der deutschen Politik Unverständnis und Desinteresse entgegen – und dabei ist es bis heute geblieben. Auch Sinns Nachfolger als Ifo-Präsident, der Oxford-Professor Clemens Fuest, sprach kürzlich von einer zunehmenden Kapitalflucht aus Italien und forderte die Bundesregierung auf, zu intervenieren, um den unrechtmäßigen Gebrauch der Target-Überweisungskredite für eine „Vermögensumschichtung in der Eurozone“ einzudämmen.

Wenn die Bundesregierung den politischen Willen dazu aufbrächte, müßte sie darauf dringen, daß die Target-Salden jährlich ausgeglichen werden – vergleichbar mit der Regelung zwischen den Regionalbanken des Federal Reserve Systems der USA. Oder sie könnte verlangen, daß die Kredite mit Gold, Devisen oder Staatsbesitz besichert werden. Alles Forderungen, die schon 2015 von einer noch nicht im Bundestag vertretenen Partei erhoben wurden: der AfD. Auch darüber hat die FAZ erwartungsgemäß nicht berichtet. Die Leser könnten ja auf die Idee kommen, daß das morbide Eurosystem und die Plünderung deutschen Volksvermögens alles andere als alternativlos sind.






Dr. Bruno Bandulet ist Publizist und Herausgeber des Deutschland-Briefs (erscheint in dem Magazin Eigentümlich frei). Als Journalist war er unter anderem bei der Welt tätig.