© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/17 / 17. Februar 2017

Einen kühlen Kopf bewahren
Geopolitik: Robert D. Kaplan zählt zu den führenden Experten der USA / Was ihn vor allem auszeichnet, ist seine Fähigkeit, internationale Politik als Produkt geschichtlicher Prozesse zu erklären
Thomas Fasbender

Seit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten scheint das Land von den Füßen auf den Kopf gestellt. So jedenfalls sehen es die Linken und Liberalen im In- und Ausland. Die New York Times fassungslos: „Populisten begeistern sich für einen gefeierten Milliardär, Evangelisten umschwärmen einen vulgären Schürzenjäger, Konservative scharen sich um einen Opportunisten, dessen einzige Ideologie er selbst ist.“

 Zu denen, die im Chaos der Proteste und des Anti-Trumpismus einen kühlen Kopf bewahren, gehört Robert D. Kaplan. Seit langem zählt der 1952 geborene Publizist zu den führenden geopolitischen Experten der USA. Was ihn vor allem auszeichnet, ist seine Fähigkeit, internationale Politik nicht nur als Spiel gegenwärtiger Macht und Interessen zu erklären, sondern immer auch als Produkt geschichtlicher Prozesse und Entwicklungen.

Die USA sind die „geborene Führungsnation“

In den neunziger Jahren gehörte er mit Samuel Huntington („Kampf der Kulturen“) zu den wenigen Experten, die angesichts des Triumphs westlicher Ordnungsvorstellungen über den Kommunismus dennoch ein „Zeitalter des Chaos“ vorhersagten. 

1994 schrieb er in dem Beitrag „Die kommende Anarchie“, daß die westlich dominierte internationale Ordnung nicht nur durch soziale Regression, wie wir sie heute etwa in Gestalt des Islamischen Staats erleben, sondern auch durch die Wiedergeburt alter Konflikt- und Spannungslinien gefährdet sei. Ein Jahr zuvor soll unter anderem Kaplans Buch „Balkan Ghosts“ US-Präsidenten Bill Clinton davon abgehalten haben, militärisch in Bosnien zu intervenieren. Kaplan zeichnet darin die Situation nach dem Untergang Jugoslawiens als ein undurchschaubares Gemengelage jahrhundertealter und hochbrisanter Konflikte. Jede Einmischung seitens Dritter sei von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Auch die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten interpretiert Kaplan als Ausfluß historischer Entwicklungen. In seinem neuesten Werk „Earning the Rockies“ beschreibt er die Vereinigten Staaten, treu der geostrategischen Mackinder-Tradition und vornehmlich aufgrund geographischer Gegebenheiten, als „geborene Führungsnation“. Dieser Anspruch sei in den Jahrzehnten der Globalisierung zunehmend erodiert. 

In der Tat ist Amerika derzeit weder physisch noch wirtschaftlich in der Lage, sich als Weltpolizist aufzuspielen. Schließlich sind auch im eigenen Land die Folgen der Globalisierung nicht von der Hand zu weisen. Unbemerkt von den Eliten der Küstenstädte, die ihr riesiges Land nur vom Flugzeug aus erleben, haben Millionen den amerikanischen Traum an den Nagel gehängt. Es sind diese Millionen, die Trump als letzte Hoffnung ins Weiße Haus gewählt haben. Seine Wahl kann durchaus als demokratische Revolution interpretiert werden, als unerhörtes Ereignis im Rahmen des geltenden Systems. 

In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung warnt Kaplan nicht nur vor einer „Beseitigung“ Assads oder sieht Wladimir Putin als Stabilitätsanker („Nach ihm könnte in Rußland quasi Anarchie ausbrechen. Oder ein rechtsgerichtetes Militärregime kommt an die Macht“), er spricht vom „Beginn eines Prozesses, der uns in eine neue Epoche der Geschichte führt“.  Drei Phasen „extremer“ Einflußnahme in Europa seien inzwischen Vergangenheit: der Zweite Weltkrieg, der Kalte Krieg, die postsowjetischen Jahre. „Die Welt wird gefährlicher, chaotischer, weil die Amerikaner immer weniger Macht einsetzen, um sie zu stabilisieren“, so Kaplans Fazit.

 Daß die „Idee des Westens“ als der tiefen psychologischen Verbindung zwischen den USA, Europa und anderen wichtigen Demokratien geschwächt wird, wenn die USA in ihrem Willen nachlassen, Europa zu verteidigen, steht für ihn außer Frage. Genau das aber ist im irredentistischen Nationalismus wachsender Teile der US-Gesellschaft, den Kaplan als Metatrend der Gegenwart ausmacht, angelegt.

Wachsende Kluft zwischen West- und Osteuropa 

Eindeutig ist Kaplans Verhältnis zu Rußland. Es sind die Schablonen des Kalten Kriegs, die in ihm walten, sobald es um das Aggressionspotential der Moskauer Politiker geht: „Eine Invasion Polens würde sofort einen größeren Krieg auslösen. Aber Estland und Lettland sind verletzbar. Die Russen könnten dort einfallen und warten, bis der Westen das Ganze zum Eskalieren bringt. Die Gefahr besteht schon heute.“ 

Zwischen West- und Ostmitteleuropa erkennt Kaplan eine wachsende Kluft. Der Westen suche ein entspanntes Verhältnis zu Rußland, während Ostmitteleuropa sich vor dem Expansionismus der Moskowiter fürchte. Auch die Mitgliedschaft in der Nordatlantischen Allianz beruhige die Polen und das Baltikum nicht wirklich. Der Verteidigungsbereitschaft der Nato mißtrauend, setzten sie auf bilaterale Bündnisse mit den USA.

Einen Ratschlag, der ebenso auf Angela Merkel wie auf Donald Trump gemünzt sein könnte, gibt Kaplan in einem Beitrag in der Washington Post: In der Außenpolitik rangiere Ordnung vor Freiheit und Interesse vor Wert. Schon Thukydides habe Angst gehabt, Eigeninteresse und Ehre als die Triebkräfte menschlichen Handelns zu bezeichnen. Der Realist als Politiker werde immer versuchen, mit und nicht gegen diese Kräfte zu arbeiten. Gute Außenpolitik setze jedoch das Bewußtsein des möglichen Scheiterns voraus, was ohne Vorsicht und historische Kenntnis unmöglich sei. Beides vermißt Kaplan bei Trump: „Er scheint über keinen Sinn für Geschichte und auch über keinen Sinn für das Tragische zu verfügen.“

Zeit ihres Bestehens seien die USA gefangen im Streit um ihre internationale, ja globale Mission. Schon ihr sechster Präsident John Quincy Adams habe  1821 seine Landsleute beschworen, in der Fremde keine „Monster zu suchen und zu zerstören“. 1917 und 1941 war der Eintritt in einen europäischen Krieg Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen. Trump und seine Anhänger seien also längst nicht die ersten Anhänger einer isolationistischen Politik. 

Auch für die Zukunft erwartet Kaplan kein Ende dieser Debatte. Die Größe, die geographische Beschaffenheit und die Ressourcen der USA diktieren ihren Politikern den Anspruch auf die Herrschaft über die Meere – und damit die Rivalität zur jeweils führenden eurasischen Macht. 

Kaplan steht für geostrategisches, geopolitisches Denken reinsten Wassers, dessen Aktualität nach fast einem Vierteljahrhundert schwärmerischer, „werteorientierter“ Außenpolitik nicht von der Hand zu weisen ist.