© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/17 / 17. Februar 2017

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Zwei britische Historiker – Roger Moorhouse und Nigel Jones – haben erneut über Sinn und Unsinn des Attentats vom 20. Juli 1944 gestritten. Immerhin stellt keiner der beiden die Beweggründe Stauffenbergs und seiner Mitverschwörer in Frage. Wenn Moorhouse trotzdem meint, es sei ein Glück gewesen, daß der Anschlag scheiterte, dann, weil im Fall eines Gelingens die totale Niederwerfung und die dauerhafte Beseitigung der NS-Ideologie unmöglich gewesen wären. Er rechnet mit der Entstehung einer weiteren Dolchstoßlegende und der Gefahr, daß sich Deutschland noch einmal erheben könnte. Dagegen argumentiert Jones, daß für den Fall von Hitlers Tod und dem Sturz des Regimes die neue Regierung sofort das KZ-System beseitigt hätte, den meisten deutschen Städten die Zerstörung, Zivilisten und Soldaten ein grausamer Tod erspart geblieben und die Sowjetunion daran gehindert worden wäre, ihren Machtbereich bis zur Elbe auszudehnen. Was den letzten Aspekt betrifft, zweifelt Moorhouse daran, daß eine von den Widerstandskämpfern gebildete Führung die Ostfront so lange gehalten hätte wie es die Wehrmacht tatsächlich tat. Letztlich sei deren Einsatz zu verdanken, daß nicht ganz Europa von Stalin überrannt wurde. Das immerhin ist eine interessante Erwägung.

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Nach einer neueren statistischen Erhebung betrachten 59 Prozent der Anhänger der AfD und 26 Prozent der Anhänger der FDP, 12 Prozent der Anhänger der SPD und 11 Prozent der Anhänger der Linken, 8 Prozent der Anhänger der Union und 4 Prozent der Anhänger der Grünen den Vorwurf „Lügenpresse“ in bezug auf die Berichterstattung der Medien als zutreffend. Ach.

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Die Empörung des Establishments darüber, „Establishment“ zu sein, hat etwas Amüsantes. Dasselbe gilt für die Beschwörung des gesellschaftlichen „Konsens“ und die Warnung vor dem „Tabubruch“ und der „Radikalität“; etwas Amüsantes und etwas Hilfloses.

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Die Berichterstattung über den Fall eines Frauenarztes an der Klinik in Dannenberg, der sich aus religiösen Gründen weigert, Abtreibungen vorzunehmen, hat im Lauf der Zeit an Klarheit gewonnen: Anfangs wurde der Eindruck erweckt, als sei der Mann einfach nicht bereit, den schwangeren Frauen zukommen zu lassen, was sie selbstverständlich verlangen dürften, dann tauchte man die gut durchdachte Argumentation eines Christen ins Licht des Bizarr-Sektiererischen, zuletzt gab man zähneknirschend zu, daß der Mediziner nur tue, was sein gutes Recht sei und verlas die Festlegung des Bundesverfassungsgerichts, daß Abtreibungen in unserem Land zwar grundsätzlich strafbar sind, da es sich faktisch um die Tötung menschlichen Lebens handelt, aber unter bestimmten Umständen straffrei bleiben. Wer will, kann an dem Vorgang dreierlei ablesen: was wirklichkeitsferne und von der Tendenz zur Entscheidungsflucht bestimmte juristische Festlegungen in der Realität bedeuten, was mit kulturrevolutionären Praktiken in den Köpfen von Menschen anzurichten ist und wie einsam die Aufrechten mittlerweile sind.

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Bildungsbericht XCVIII in loser Folge: Der Interessierte: „Worin besteht denn Ihrer Meinung nach das Hauptproblem an deutschen Gymnasien?“ Der Lehrer: „Im Mangel an Gymnasiasten.“

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Wurde schon einmal durchdacht, welches Plus an tatsächlicher Autonomie und Steigerung des Selbstwertgefühls es bedeutet, wenn der Laie mit Hilfe des entsprechenden Youtube-Videos tatsächlich in der Lage ist, den Dichtungsring seines leckenden Wasserhahns auszutauschen?

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Natürlich finden sich auch auf der Rechten „Mundwerksburschen“ (Arnold Gehlen).

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Chrysallis, die spanische Vereinigung von Eltern transsexueller Kinder, hat mit einer Plakataktion erhebliche Unruhe ausgelöst. Die Anschläge waren in den größeren Städten und in U-Bahnstationen zu sehen: eine Zeichnung mit vier nackten Kindern, darunter jeweils ein Mädchen mit männlichen und ein Junge mit weiblichen Geschlechtsorganen und dem Slogan: „Es gibt Mädchen mit einem Penis und Jungen mit einer Scheide. Ganz einfach.“ Facebook hat die Darstellung sofort untersagt, woraufhin sie leicht modifiziert wurde. Besonders scharfe Kritik kam aus den Reihen konservativer Katholiken. Dort ist man vor allem irritiert über die finanziellen Mittel, die Chrysallis offenbar zur Verfügung stehen und die der Organisation seit einem Jahr erlauben, immer wieder großangelegte Kampagnen durchzuführen.

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Es gibt immer wieder Untersuchungen, bei denen man staunt, daß sich jemand die Mühe macht. So wurde jüngst festgestellt, daß die Zahl der Menschen mit narzißtischer Persönlichkeitsstruktur immer weiter wächst, daß die Unterschiede zwischen den Jungen im Westen und im Osten der Republik kaum noch der Rede wert sind und kein Ende der Entwicklung absehbar ist.