© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/17 / 17. Februar 2017

Das Flutlicht auf die Moderne hüllte sie in Schatten
Standhalten im Bild: Eine vorzügliche Monographie des norddeutschen Künstlerpaares Lutz Theen und Hedda Pontoppidan
Sebastian Hennig

Der Titel des Bildbandes über das Schaffen des Künstlerpaares Lutz Theen (1913–2001) und Hedda Pontoppidan (1912–2013) formuliert ein überflüssiges Zugeständnis an die Herrschaftssprache der gegenwärtigen Kulturpropaganda: „Abseits der Moderne“. Im Verhältnis zur heutigen Praxis muß der marxistischen Kulturgeschichtsschreibung der DDR inzwischen ein nahezu untrügliches Wertempfinden für von ihr zurückgewiesene Kunstäußerungen bescheinigt werden. Auflagenstarke Biographien lassen deutlich werden, daß die Verkennung der historischen Mission der Arbeiterklasse sowie andere Merkmale spätbürgerlicher Dekadenz damals offenbar mühelos aufgewogen werden konnten von den genuin künstlerischen Qualitäten. Heutige Geschichtsschreibungen sind dazu nicht mehr gewillt. Wer kein „Wegbereiter der Moderne“ ist, der bleibt problematisch oder marginal, zumindest aber eigensinnig verbohrt.

Das norddeutsche Künstlerpaar Theen/Pontoppidan stand nicht etwa abseits. Sie waren immer da und immer tätig. Nur das Flutlicht, welches immer noch die potemkinschen Fassaden einer lebensunfähigen Moderne bestreicht, hüllte sie in Schatten. Beide stammen aus großbürgerlichen Kaufmannsfamilien. Lutz Theen wurde in Tsingtau in Deutsch-China geboren. Sein Vater geriet in japanische Krieggefangenschaft. Die Familie wurde 1919 nach Deutschland ausgewiesen. In einer Reformschule auf Spiekeroog begegnete er dem Zeichenlehrer Hans Holtorf, dessen Malschüler er gemeinsam mit dem Bruder von Hedda Pontoppidan später wurde.

Sie hatte sich zielstrebig gegen ihre Eltern durchgesetzt: „Ich hatte meinen eigenen Kopf und wollte Malerin werden. Mit 17 wußte ich: ich werde Malerin.“ Sie erkrankte schwer, während sie die übliche hauswirtschaftliche Ausbildung an einer Gewerbeschule durchlief. An der Hamburger Landeskunstschule war sie dann endlich am richtigen Ort.

Zugleich bekam sie dort schon zu Anfang der dreißiger Jahre einen Vorgeschmack auf das Absurde des Kunstbetriebs. Als sie zu Ende des Vorkurses eine scherzhaft gemeinte Collage mit allerlei Krimskrams und Schrott auf eine Unterlage von Gips montierte, bejubelten zwei Professoren daran eine zukünftige Kunst. Die unfreiwillige Avantgardistin übersprang zwei Klassen und war um eine wesentliche Erfahrung reicher: „Aber da kam mir schon die Ahnung, da kann irgend etwas nicht ganz stimmen, da läuft irgend etwas verkehrt.“

Die Aufzeichnungen der Mitteilungen, welche die hundertjährige Künstlerin 2012 vorbehaltlos gegeben hat, bilden den farbigen Grundstock der Monographie des Künstlerpaares. Pontoppidan schildert den Lehrer als anregende, aber schwierige Persönlichkeit. Holtorf wollte ursprünglich zum Theater gehen, war mit dem Schauspieler Mathias Wieman befreundet und versorgte den mit Malverbot belegten Emil Nolde mit Farben. Er mischte sich immer wieder auf ungute Weise in das Privatleben seines Schülerpaares ein.

Während die großen Biographien ein Körnchen Wahrheit zu Drehbüchern melodramatischer Künstlerfilme aufschwellen, erschließt diese Doppelbiographie exemplarisch Problemlagen des zeitgenössischen Kunstschaffens. Dazu gehört die systematische Benachteiligung der begabten Männer. Diese finden beinahe immer erst auf problematischen Umwegen zur Form. Unter der inzwischen auch quantitativen Vorherrschaft der doppelt dekorativen Weiber haben sie dadurch kaum noch eine reelle Chance. Wenn noch ein erotisches Interesse des Lehrers an der Schülerin hinzutritt und ihn zum ungleichen Rivalen werden läßt, dann ist die Katastrophe nahezu perfekt. Aus der abgeklärten Distanz von bald achtzig Jahren läßt Pontoppidan einiges dazu verlauten: „Das Schlimme ist, daß Holtorf Lutz immer zur Schnecke gemacht und ihn kleingekriegt hat. Er hat aus einem lebendigen und lebhaften jungen Mann einen verkrampften Duckmäuser gemacht. Das hab’ ich sehr sehr bedauert. Lutz ging ja 1937 noch mal nach China, und die Gelegenheit nutzte Holtorf, um ordentlich einen Keil zwischen uns zu treiben.“

Das heimische Element des Meeres ist auch auf den chinesischen Blättern von Lutz Theen gegenwärtig. Dschunken treiben da über den Ozean. Nach seiner Rückkehr heiraten die beiden im Jahr 1940. Als der Vater 1946 aus der Gefangenschaft zurückkehrt, wird er von seinem zweijährigen Sohn zurückgewiesen. Thomas Gädeke, Kunsthistoriker am Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte Schloß Gottorf, zeichnet mit großer Sorgfalt ein Doppelporträt zweier verfemter Künstler. Die Absicht, „tiefer und differenzierter in ein bis dato unbekanntes Werk einzudringen“, verbindet er mit einer bemerkenswerten Polemik zu den Zeitgenossen. Zur Anpassung eines Otto Dix an die jeweilige Mode des Tages bemerkt er: „Die damit erkauften Schwächen in seinem Werk dürften die Beurteilung seines Spätwerks auf lange Sicht noch belasten.“

Der Nachlaß von Theen und Pontoppidan freilich ist unbelastet von derlei Hypotheken. Ob der Einschätzung einer „fatalen Neigung zu allzu genauer Detailmalerei“ bei Theen zugestimmt werden muß, kann allein der Augenschein der Originalwerke erweisen. Das wird nur geschehen, wenn das Hintergrundrauschen der permanenten Moderne endlich verstummt. Zugleich darf spießbürgerlichen Banausen ohne echtes Interesse am Erkenntniswerk bildender Kunst das Feld nicht überlassen werden.

Wie diese notwendige Fahrt zwischen Scylla und Charybdis verlaufen soll, dazu gibt Thomas Gädeke mit seiner Monographie kostbarere Hinweise. Wer die praktischen Folgerungen aus Theens trotziger Haltung aburteilen will, hat nach den heutigen Regeln leichtes Spiel. Maßstäbe, deren Existenz sonst immer geleugnet werden, hier gelangen sie zumeist mit destruktiver Wollust zum Einsatz. Offenbar hat sogar die engste Gefährtin solche Ressentiments geteilt. Zu leicht lassen sie sich umkehren: Der struppige Strich der Rohrfederzeichnungen von Pontoppidan gibt bestechend sympathische Darstellungen der Katen, Wiesen und Waldstücke der Flensburger Förde.

Doch der Partner strebte über diese poetische Sachlichkeit hinaus. Lutz Theen hat mehr gewollt. Er war mit seinen Aktdarstellungen immer um die große Synthese von Bildkompositionen bemüht. Sein penibler Naturalismus in der Durchführung ist einerseits völlig aufrichtig, zudem sollten wir uns von ihm nicht verführen lassen, den integrativen Bemühungen um das große Bild unsere Achtung zu versagen.

Das zeitgenössische deutsche Kunstschaffen ist seit gut sechzig Jahren einer ideologischen Verzerrung unterworfen. Dabei gestaltete sich der Neuanfang nach dem Krieg zunächst hoffnungsvoll. Die Allgemeine Deutsche Kunstausstellung 1946 in Dresden und die erste Documenta 1955 in Kassel galten wirklich noch der Kunst und den Künstlern. Recht bald wurden diese Hoffnungen an den gleichen Orten zu Grabe getragen.

Bevor noch die  Mauer hochgezogen war, wurde die freie deutsche Kunst von den Ideologien entzweigerissen. Die dritte deutsche Kunstausstellung 1953 in Dresden, eröffnet von Otto Grotewohl, verhängte in eilfertiger Verspätung den sowjetrussischen Naturalismus stalinscher Prägung. Aber das gab sich bald wieder. In Kassel dagegen verabschiedete sich 1959 die zweite Documenta von jeder Dokumentationsabsicht aktuellen Kunststrebens. Hedda Pontoppidan meinte dazu einmal selbstironisch: „Wenn ich an die documenta denke, bekomme ich soviel Schaum vor dem Mund, daß ich eine Schaumkelle brauche, um ihn wieder abzukratzen.“

Ererbte Vornehmheit und gute Kinderstube schützten die beiden vor Verbitterung. Andauernde künstlerische Betätigung hat ihnen bis an ihr Lebensende in der feindseligen Umgebung Haltung verliehen. Die gleichmütige Ruhe ihrer Werke, die zeigt, daß alles vergänglich, alles vorübergehend ist, darin besteht die größte Provokation. Es ist eine Kunst, die den Moden weder hinterherrennen noch vorauseilen wollte.