© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/17 / 17. Februar 2017

Die fünfte Jahreszeit
Vom Winteraustreiben, Morgenstreichen und dem Heiratsmarkt
Verena Inauen

Carne vale, Shrovetide, Uzgavenes, Morgenstreich oder Fasching –in nahezu allen europäischen Ländern wird vor der Fastenzeit, die mit dem Aschermittwoch anbricht, noch einmal ordentlich gefeiert und gevöllert. Während sich die Jecken entlang des Rheins mit „Alaaf“-Rufen tummeln, haben andere Länder ebenso ihre eigenen, teils skurrilen, aber auch humorvollen Bräuche entwickelt.

Befohlener Spaß nach Stechuhr in der Schweiz

Weniger auf den christlichen als vielmehr auf den heidnischen Naturkalender führt das närrische Treiben beispielsweise heute noch in vielen skandinavischen und baltischen Staaten zurück. So werden, um den langen Winter endgültig auszutreiben, in Litauen im Zuge der „Uzgavenes“, also der Vor-Fastenzeit, Frühlingsfeste gefeiert. Am Sonntag vor dem Aschermittwoch beginnt der Festreigen und ergießt sich drei Tage lang in den verschiedensten Zeremonien.

Alles Schlechte etwa, was in dem vorangegangenen kalten Winter passiert ist, wird auf eine Strohpuppe, die More, übertragen und über offenen Feuern verbrannt. Währenddessen tanzen die Litauer um die Feuerstelle und treiben den Winter mit „Ziema, ziema, bek is kiemo“-Rufen (Winter, Winter, verzieh dich von meinem Hof) aus. Auch Wettkämpfe zwischen den zwei symbolischen Winter- und Sommerfiguren finden im Laufe dieser Tage statt und werden von maskierten Kindern begleitet, die an den Haustüren um Pfannkuchen bitten.

Das genaue Gegenteil zu dem bunten Treiben im Norden stellt die Schweizer Stadt Basel dar. Dort gibt es vor der Fastenzeit überhaupt keine Umzüge oder gar ein Karnevalstreiben. Erst am Montag nach dem Aschermittwoch wird dort die Fastnacht nach einem strengen Ablauf zwischen vier Uhr morgens und Dämmerungsanbruch gefeiert.

Während viele Bewohner noch im Tiefschlaf liegen, setzt sich ein Zug aus Trommlern, Flötenspielern und verkleideten Figuren in Bewegung. Unter ihnen die „Aagfrässenen“, die „Muggedätscher“, die „versoffene Deecht“ und die „Waggis“. Verschiedene Gruppierungen die sich als betrunkene Frauen, dicke Menschen oder Verrückte verkleiden, ziehen in einem speziellen Marschtakt und mit bis zu vier Meter hohen Laternen durch die Straßen. Dabei rechnen sie mit den Fehlern der Politiker ab und veräppeln berühmte Personen. Mit Anbruch der ersten Sonnenstrahlen ertönt dann der Morgenstreich, und das Spektakel ist vorbei. Die Baseler gehen zur Arbeit, als hätten sie nie etwas anderes gemacht.

So als wären sie allerdings zum Feiern geboren, zelebrieren die Italiener den Karneval. Schon das Wort an sich hat seinen Ursprung in dem Mittelmeerstaat: „carne vale“, also „Fleisch, leb wohl“ bezeichnet dort ebenfalls die Zeit vor den Fastentagen. Diese Zeit wird allerdings ausgiebig mit fettigen Speisen, viel Fleisch und allerlei Süßem gefeiert.

Mit kreativen Masken oder häßlichen Fratzen wird der Winter lautstark an 12 Tagen vor dem Aschermittwoch ausgetrieben. Während in Venedig eine überdimensionale Taube aus Pappmaché vor dem Dogenpalast Konfetti speit, finden andernorts im Norden von Italien die verschiedensten Maskenbälle statt, und in Verona verwandeln sich die Straßen in einen Hexenkessel, wo Drachenköpfe und andere Gespenster vom Festmeister in die Verbannung geschickt werden.

Obwohl Italien und Irland zwar der gemeinsame katholische Glaube verbindet, trennt sie das Thema Karneval um so mehr. Auf der Insel gibt es schlicht keine Faschingsfeiern. Zwar wird der „Shrovetide“, der Faschingsdienstag, gewürdigt, feiern wäre dabei jedoch zuviel gesagt. Wie auch in England und manchen baltischen Staaten gibt es an diesem Tag traditionellerweise Pfannkuchen. Allerdings ohne Zucker, sondern mit Zitronensaft. Ein bitterer Beigeschmack, der an die kommende Fastenzeit erinnern sollte und in der alle Vorräte an Fett, Milch und Eiern aufgebraucht werden, um sich ganz der Abstinenz zu weihen.

Das war aber nicht immer so: Bis in die sechziger Jahre wurde in der Faschingszeit noch ein reger Heiratsmarkt betrieben, und Ehestifter vermittelten „gute Partien“ zwischen den irischen Familien, was zu ebenso angeregten Festen noch vor dem Aschermittwoch führte. Seit dieser Brauch mit der Zeit verdrängt wurde, beschränken sich die Iren auf das ausgiebige Feiern ihres Nationalhelden St. Patrick am 17. März.