© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/17 / 24. Februar 2017

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Grill loyal
Paul Rosen


Zu Bonner Zeiten gab es eine geflügelte Antwort, wenn jemand um Stillschweigen gebeten wurde: „Ich habe ein Gedächtnis wie ein Politiker vor dem Untersuchungsausschuß.“ Damit war klar, daß der Vorgang unter der Decke blieb. In Berlin hat sich daran nichts geändert: Kanzlerin Angela Merkel mußte vor dem NSA-Untersuchungsausschuß aussagen. Es geht in dem Ausschuß darum, wie der amerikanische Geheimdienst in Deutschland spioniert hat und welche Rolle der Bundesnachrichtendienst in diesem Zusammenhang spielte. Untersucht wird auch, wie der BND in befreundeten Ländern herumspionierte. Dies gilt als besonders peinlich, hatte Merkel doch 2013 nach Enthüllung der NSA-Praktiken durch den Whistleblower Edward Snowden gesagt: „Abhören unter Freunden, das geht gar nicht.“ 2015 kam heraus, daß der BND das auch machte – selbst in Washington in der US-Regierung waren die deutschen Schlapphüte unterwegs.


Erwartungsgemäß wußte Merkel nichts. Erst durch die Mitwirkung des Ausschusses habe man erfahren, daß der BND auch bei Freunden aktiv sei und den Amerikanern mit einer Selektoren-Liste beim Schnüffeln half. Sie selbst sei davon ausgegangen, daß der BND nicht bei befreundeten Regierungen unterwegs sei, sagte die Kanzlerin. Fragen an Merkel prallten ab wie ein Gummiball an einer Betonwand. Dennoch sind zwei Dinge an der letzten Zeugenvernehmung des NSA-Untersuchungsausschusses bemerkenswert. Die Kanzlerin mußte sich sieben Stunden lang den Fragen des Ausschusses stellen. Wer weiß, wie unangenehm eine Befragung durch den scharfsinnigen und scharfzüngigen Grünen Hans-Christian Ströbele sein kann, weiß auch, daß die Kanzlerin schon schönere Tage erlebt hat, auch wenn diese etwas länger zurückliegen.


Die Dauer der Vernehmung ist ungewöhnlich: Mit ihrer Mehrheit hätte die Koalition die Regeln bestimmen und der Regierungschefin einige qualvolle Stunden ersparen können. Aber die eigenen Leute von CDU/CSU und SPD schauten zu, wie die Kanzlerin von Ströbele und Co. „gegrillt“ wurde.


Hier zeigt sich, daß es um den Zusammenhalt in der Großen Koalition nicht mehr zum besten steht. In der letzten Woche kam es auch in mehreren Ausschüssen zum Streit. Im Finanzausschuß lieferte sich der CDU-Abgeordnete Frank Steffel ein heftiges Wortgefecht mit der SPD um die Grundsteuer.


Bemerkenswert sind die Reaktionen vieler Medien, die bis zur Kanzlerkandidatur von Martin Schulz Merkel umjubelten. Die Kanzlerin schien sich gerne im Glanz des medialen Lobs zu sonnen. Doch Wolken sind aufgezogen. „Gretchenhaft unschuldig“ habe sich Merkel präsentiert, befand die Süddeutsche Zeitung. Die taz fühlte sich beim Merkel-Auftritt „geradezu perfekt“ an das Bild von den drei Affen erinnert, „die sich die Augen, die Ohren und den Mund zuhalten und mit diesen Gebärden zu verstehen geben, daß sie nichts sehen, nichts hören und nichts sagen wollen“. Vielleicht erinnert sich die Kanzlerin wenigstens an eine Lebensweisheit von Franz Josef Strauß: „Wer den Zeitgeist heiratet, wird schnell Witwer.“