© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/17 / 24. Februar 2017

Wasser auf die Mühlen Le Pens
Frankreich: Nicht nur mutmaßliche Polizeigewalt führt in den Problemvororten regelmäßig zu Krawallen, auch der Alltag ist durch brennende Autos geprägt
Friedrich-Thorsten Müller


Tausende Teilnehmer demonstrierten vergangenen Samstag in Paris und mehreren weiteren Städten Frankreichs gegen Polizeiwillkür und Einwande­rerdiskriminierung. Aufgerufen hatten dazu Antirassismus-Organisationen sowie Gewerkschaften.


Regelmäßig entzünden sich in Frankreich Unruhen wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Polizeiwillkür im Umgang mit jungen Ausländern oder Franzosen aus Einwandererfamilien. Auslöser für die aktuellen Demonstrationen und Ausschreitungen war die „Affäre Théo“. Bei einer Polizeikontrolle Anfang Februar im Pariser Problemvorort Aulnay-sous-Bois wurde ein 22jähriger afrikanischstämmiger Franzose so schwer verletzt, daß er für zwei Monate arbeitsunfähig geschrieben wurde. Dabei konnte bisher der Verdacht nicht ausgeräumt werden, daß einer der kontrollierenden Beamten dem Opfer mit einem Schlagstock gezielt eine schwere und demütigende Analverletzung beigebracht hat.


Innerhalb kürzester Zeit machte der Vorfall über die sozialen Medien die Runde. Die Facebook-Seite „Justice pour THEO“ (Gerechtigkeit für Theo) hat es auf inzwischen über 67.000 Likes gebracht. Zwar organisieren sich hier zuvorderst friedliche Unterstützer, die wissen, daß Gewalt ihrem Anliegen schadet. Aber selbst der Ausnahmezustand in Frankreich verhindert nicht, daß vor allem Jugendliche aus gesellschaftlich abgehängten Einwandererfamilien als Trittbrettfahrer mit brennenden Autos und gewalttätigen Übergriffen auf solche Vorfälle reagieren. Auch die Demonstrationen vom Samstag wurden so von Gewalt überschattet: Mehrere hundert Teilnehmer versuchten nach der Demonstration in Paris die Polizeiabsperrungen zu durchbrechen. Dabei flogen Dosen und Pflastersteine auf die Polizei. Die Ordnungshüter – von denen drei verletzt wurden – setzten Tränengas ein und nahmen 13 Randalierer in Gewahrsam.


Regierung und Verwaltung versuchen nun durch eine Strategie der absoluten Offenheit, die Wogen wieder zu glätten. So begab sich sehr früh und vor Abschluß der Untersuchung des Polizeieinsatzes Frankreichs Präsident François Hollande medienwirksam ans Krankenbett des Verletzten. Außerdem wurden die vier in den Einsatz verwickelten Polizisten bis zum Abschluß der Überprüfung vom Dienst suspendiert.


Der angeschlagene Oppositionsführer der Konservativen, François Fillon, verurteilte seinerseits die mutmaßlichen Verfehlungen einzelner Polizisten, beharrt aber darauf, daß nicht die gesamten Ordnungskräfte dafür in die Kollektivverantwortung genommen werden könnten. Marine Le Pen vom Front National äußerte dagegen, sich prinzipiell „bis zum Beweis der Schuld“ auf die Seite der Polizei zu stellen. Grundsätzlich dürfte sie es sein, die zwei Monate vor der Präsidentschaftswahl am meisten von diesen Vorfällen profitiert. Eine aktuelle Umfrage von Opinion Way sieht sie im ersten Wahlgang mit 27 Prozent deutlich in Führung, und selbst in der Stichwahl traut man ihr – unter dem Eindruck der jüngsten Unruhen – bis zu 44 Prozent zu.


Dies obwohl in Frankreich jährlich Zehntausende Autos angezündet werden. Allein in der vergangenen Silvesternacht waren es laut Innenministerium trotz Ausnahmezustandes 650 Brandstiftungen. Diese Wahrnehmung als „Normalität“ erklärt ein Stückweit das Desinteresse vieler Medien am – wie der Philosoph Éric Werner es nennen würde – französischen „Vorbürgerkrieg“.