© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/17 / 24. Februar 2017

Rätselhaftes Sanatorium
Kinothriller: „A Cure for Wellness“ von Gore Verbinski
Claus-M. Wolfschlag


Gore Verbinski ist der filminteressierten Öffentlichkeit vor allem durch seine „Fluch der Karibik“-Reihe bekannt geworden, in der Johnny Depp als skurriler Piratenkapitän Jack Sparrow zu amüsieren vermochte. Horrorfilm-Fans ist er zudem durch „Ring“, die Neuverfilmung eines japanischen Klassikers, ein Name. Darin werden diejenigen, die ein mysteriöses Videoband angeschaut haben, kurz danach angerufen und binnen einer Woche ermordet.
Nach Ausflügen zu Liebeskomödien und Western hat sich Verbinski mit „A Cure for Wellness“ nun erneut in die Welt des Phantastischen gewagt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen, auch wenn dem fast zweieinhalb Stunden langen Film ein wenig Straffung gutgetan hätte. Langeweile kommt in dem spannenden Streifen jedoch zu keinem Moment auf.


Wer ist gesund, wer krank?


Aufgrund betrieblicher Probleme wird Mr. Lockhart (Dane DeHaan), ein junger Manager eines börsennotierten Unternehmens, damit beauftragt, in die Schweiz zu reisen. Er soll Mr. Pembroke (Harry Groener), den Vorstandsvorsitzenden seiner Firma, dringend nach New York zurückholen. Schon viel zu lange weilt Pembroke in einem abgelegenen Kurhotel, und der Kontakt zu ihm scheint abgerissen.


Bereits bei Lockharts Eintreffen wird klar, daß irgend etwas mit dem großzügigen Sanatorium in den Schweizer Alpen nicht stimmen kann. So wird er mit einer düsteren Legende konfrontiert, die sich um den einstigen Burgberg spinnt. Der Taxifahrer berichtet, daß 200 Jahre zuvor das einstige Oberhaupt der örtlichen Adelsfamilie seine Angetraute zu schwängern versucht hatte, aufgrund ihrer Unfruchtbarkeit dafür aber einige an Dr. Frankenstein erinnernde Experimente mit Leichen durchführen mußte. Daraufhin stürmten die Dorfbewohner die Burg, setzten sie in Brand und stürzten die Gemahlin des Schloßherrn in einen Brunnen. Das heutige Sanatorium läge auf den Grundmauern der einstigen Burg.


Als Lockhart seinen Chef zu treffen versucht, wird er mit allerlei Argumenten von ihm ferngehalten. Bei der Rückfahrt ins Dorf passiert ein Autounfall, und Lockhart findet sich nach seinem Erwachen selbst als Patient in dem verwinkelten Komplex und dessen klinisch weißem Ambiente wieder. Hier scheint sich auch ein Kulturkonflikt auszudrücken. Die der Welt entrückte Atmosphäre steht im Gegensatz zum kalten New Yorker Geschäftsleben mit seinen Bürotürmen aus Beton, Stahl und Glas. Zum Glück vermeidet es der Film, in eine schlichte Rassenzüchtungs-Dystopie abzugleiten, wie es Mathieu Kassovitz mit „Die purpurnen Flüsse“ getan hat.


Verbinski bleibt subtiler. Wer ist gesund, wer krank? Ist die Sanatoriums-Welt mit ihrer zwischen Wassergymnastik und Kreuzworträtsel hin und her spazierenden Patientenschaft wirklich ein Ort des Übels? Oder ist es nicht jene kapitalistische Geschäftswelt mit ihrem Streben nach Macht und Geld, die der Anstaltsleiter Volmer (Jason Isaacs) als geistige Krankheit betrachtet und von der er Reinigung verspricht? Ist Volmer ein Genie oder ein „mad scientist“?
Zudem stellt sich die Frage, was real ist und was möglichenfalls nur der angespannten Psyche Lockharts entsprungen. Doch auch diese auf „Shutter Island“ verweisende Eventualität wird nicht vollständig geklärt. Ist Lockharts Geist krank? Oder wird dieser nur okkupiert? Jason Isaacs als Anstaltsleiter Volmer gibt einen modernen Vincent Price, wenngleich mit nicht ganz so viel Theatralik.


Lockhart lernt ein geheimnisvolles Mädchen (Mia Goth) kennen, das stets barfüßig, einer Elfe gleich, auf den Mauern der alten Feste balanciert. Sie hat noch nie das Sanatorium verlassen; ein Besuch des nahen Dorfgasthauses ist für sie bereits der Sprung in eine andere Welt, und bald geraten alle Ausbruchsversuche so vergeblich wie jene Jim Carreys in „Die Truman Show“. Und in einer anderen Szenerie erinnert der Film an Polanskis „Die neun Pforten“.
Gore Verbinski ist mit teils betörenden, bisweilen fast surreal wirkenden Bildern die Verfilmung eines Stoffs gelungen, der auch von Edgar Allan Poe hätte stammen können.


Kinostart: 23. Februar