© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/17 / 24. Februar 2017

Ein Opportunist im Dienste seines Völkchens
Biographie über den „Vorzeigesorben vom Dienst“: Der Schriftsteller Jurij Brezan im Spannungsfeld zwischen Heydrich und Brecht
Konrad Faber


Wie mancher andere Schriftsteller der DDR hat Georg Brezan (1916–2006), der sich nach einer amtlichen Namensänderung 1948 sorabisiert „Jurij Brezan“ nannte, seinen Lebenslauf etwas geschönt. Dies hat der Sorabist und langjährige Leiter des Sorbischen Instituts in Bautzen Dietrich Scholze in seiner Biographie des wohl namhaftesten sorbischen Schriftstellers im 20. Jahrhundert nachgewiesen.


Der aus dem Oberlausitzer Dorf Räckelwitz gebürtige Sohn einer katholischen kleinbäuerlichen Familie flog demgemäß 1936 nicht aus „politischen Gründen“, sondern wegen persönlichen Fehlverhaltens kurz vor dem Abitur vom Bautzener Gymnasium. Als er 1938 im polnischen Thorn an einem deutschsprachigen Gymnasium sein Abitur nachholte, sprach den jungen, nationalistisch gesinnten Sorben der polnische militärische Geheimdienst an, und er erhielt eine Spezialausbildung als Diversant.


Antifaschistischen Widerstand dramatisiert


Seine kurz darauf bei Rückkehr in die Oberlausitz erfolgte Verhaftung durch die sächsische Polizei hatte indessen andere Gründe als die vorgesehene Tätigkeit für den polnischen Geheimdienst. Wahrscheinlich verdächtigte man ihn slawisch-nationalistischer Umtriebe nach seinen vorhergehenden Aufenthalten in der Tschechoslowakei und Polen. Mit insgesamt vier Unterbrechungen saß Brezan in Dresden etwa 14 Monate in Haft.

 
Später sollte er behaupten, RSHA-Chef Reinhard Heydrich habe ihn persönlich verhört und ihm dabei vier Vorderzähne ausgeschlagen. In der DDR bezog Brezan dafür und für die „chronische Bindehautentzündung“, welche er sich in der Dresdener Haft angeblich zugezogen hatte, 600 Mark VVN-Rente, was damals einen ganzen Monatslohn darstellte. Von 1941 bis 1945 diente Brezan als Fernmeldegefreiter in der Wehrmacht. Anders als in seiner autobiographisch gefärbten Felix-Hanusch-Romantriologie leistete er hier nicht antifaschistischen Widerstand und arbeitete dabei mit Partisanen zusammen, sondern war verständlicherweise nur darum bemüht, den Krieg zu überleben.


Zurückgekehrt in die heimatliche Oberlausitz boten sich dem mittlerweile 29jährigen die Möglichkeit, als Jugendfunktionär in der sorbischen Organisation Domowina zu wirken. Gleichzeitig trat der Katholik Brezan zuerst in die KPD, später in die SED ein, welcher er bis 1990 angehörte. Doch obwohl er sich nun auch schriftstellerisch im fortschrittlichen Sinne zu betätigen begann, scheint er mit dem starken ideologischen Druck, dem er unterlag, nicht zurechtgekommen zu sein. Er organisierte Aufbaufahrten sorbischer Jugendbrigaden nach Jugoslawien, was ab 1948 im Kampf gegen den „Titofaschismus“ als ideologisch mehr als anrüchig galt. Auch verhörte ihn das NKWD bezüglich seiner vormaligen Ausbildung beim polnischen Geheimdienst, denn man verdächtigte ihn, aus sorbisch-nationalistischen Gründen aus der Tschechoslowakei Waffen in die Oberlausitz zu schmuggeln. Nach einem Infarkt beendete Brezan deswegen seine Funktionärstätigkeit und begann eine Karriere als freier Schriftsteller.


Dazu gehörten damals natürlich Oden auf Stalin, wie auch seine literarischen Produkte oftmals reinen Agitpropcharakter trugen. Später gab Brezan wohl aus Marketinggründen an, in seinen schriftstellerischen Anfängen von Bertolt Brecht persönlich gefördert worden zu sein. Als seinen eigentlichen Förderer arbeitet Scholze indessen den aus Dresden gebürtigen Schriftsteller Ludwig Renn heraus.


Anwerbeversuchen der Stasi widerstand der Sorbe


In der DDR etablierte sich Brezan zunehmend als Stimme des sorbischen Volkes, welches der Schriftsteller aufrichtig liebte und welches er insgeheim als „verachtet und verspottet“ ansah. Ungeachtet dessen hat er in der DDR seine Privilegien als Schriftsteller (Hauskauf, West-Autos, „Reisen ins nichtsozialistische Ausland“, Orden und Preise) gern genossen und Kontakte zur Macht, insbesondere dem Politbüromitglied Kurt Hager, gepflegt.


Biograph Scholze behauptet sogar, daß Brezan in seinem literarischen Schaffen die „Selbstzensur perfektioniert“ habe. Aber wenn Brezan auch keineswegs ein oppositioneller Schriftsteller war, so komplimentierte er die Werbe-Offiziere des MfS blitzschnell aus seiner Wohnung und war deshalb der einzige stellvertretende Vorsitzende des DDR-Schriftstellerverbandes, der kein Stasi-IM war. Zu den bleibenden Leistungen des Schriftstellers Brezan gehört sein Krabat-Roman, der nach der Wende eine, sehr viel weniger beachtete, zeitkritische Fortsetzung erhielt.


Aufgrund seiner Staatsnähe galt Brezan nach 1990 sogar unter Sorben als „Repräsentant einer überwundenen Ordnung“. In Bautzen verzichtete man 2002 darauf, den jahrzehntelang in Bautzen wohnhaften Brezan zum Ehrenbürger zu ernennen. Hochbetagt und nach dem frühen Tod von Frau und Sohn vereinsamt, verstarb der Schriftsteller 2006 in Kamenz.



Dietrich Scholze: Jurij Brezan – Leben und Werk. Domowina-Verlag Bautzen 2016, gebunden, 296 Seiten, Abbildungen, 19,90 Euro


Foto: Der sorbische Schriftsteller Jurij Brezan 1987: Repräsentant einer überwundenen Ordnung