© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/17 / 03. März 2017

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Placebo für die weiße Weste
Paul Rosen

Nach traditionellem Verständnis stehen Lobbyisten (daher ihr Name) in der Vorhalle (Lobby) der Parlamente herum und versuchen, auf das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten Einfluß zu nehmen. Um zu dokumentieren, wer dies tut, gibt es ein Lobbyregister. Seit Jahren wuchert diese Liste auf inzwischen 2.302 eingetragene Organisationen – von „1219 – Deutsche Stiftung für interreligiösen und interkulturellen Dialog“ bis zum „Zweirad-Industrie-Verband“. Um den Einfluß dieser Verbände zu begrenzen, reduzierten Bundestagspräsident Norbert Lammert und sein Präsidium die Zahl der Hausausweise, die zum Betreten des Bundestages berechtigen. Das war reine Augenwischerei. 

Der Lobbyist von heute schaut von seinem komfortablen Büro unweit des Brandenburger Tores auf „Phoenix“ zu, wie die Abgeordneten den von ihm maßgeblich im Interesse seiner Klienten mitgestalteten Gesetzentwurf durchwinken. 

An diese Leute kommt auch der jüngste Vorstoß der SPD für ein Lobbygesetz nicht heran. Die Absicht der Genossen liegt vielmehr auf der Hand: Nachdem ruchbar wurde, wie SPD-Politiker über eine zum Zeitungsimperium der Partei gehörende Firma für Vorträge angemietet werden konnten, versucht sich die SPD jetzt mit einer „Operation weiße Weste“ für den Martin-Schulz-Wahlkampf als Saubermann zu präsentieren. 

Den Lobbyisten dürfte das ziemlich egal sein. Längst vorbei sind die Zeiten, wo zum Beispiel die Zigaretten-Industrie versuchte, auf Parteitagen mit einer Presse-Lounge  für Essen und Trinken zu sorgen. Die Rauchverbote kamen trotzdem. Lobbyisten von heute arbeiten „undercover“, also verdeckt. Von ihnen angeheuerte internationale Kanzleien und Consulting-Unternehmen bieten Abgeordneten, Fraktionen und Ministeriumsbeamten ihren Sachverstand an, veranstalten Fachgespräche und treten auch öffentlich als Experten auf, ohne daß ihre wirklichen Auftraggeber bekannt wären. Diese Vertreter internationaler Kanzleien haben es inzwischen bis in die öffentlichen Anhörungen der Bundestagsausschüsse geschafft und nehmen auch auf diese Weise Einfluß. 

Viele Politikfelder wie das Finanz- oder das Gesundheitswesen sind so kompliziert, daß Ministerialbeamte allein mit dem Formulieren wirkungsvoller Paragraphen überfordert sind. Da läßt man sich gerne von einem Fachmann helfen, der zudem seine Vorschläge kostenlos per Mail ins Büro schickt. Daß die Absender dieser Mails schließlich im Entwurf als Mitwirkende aufgeführt werden, ist eine naive Vorstellung. Und die SPD übersieht, daß kein Gesetzentwurf den Bundestag so verläßt, wie er hereinkommt. 

Und eines blendet die SPD völlig aus: den Einfluß von sogenannten Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace, die nicht demokratisch legitimiert sind, aber sehr erfolgreich zum Beispiel im Sinne der Erneuerbare-Energien-Industrie auftreten und immer auf der Seite des „Guten“ stehen. 

Ihr Erfolgsrezept ist öffentlicher Druck und mediale Einflußnahme. Nachdem sie die gesamte Energiewirtschaft umgekrempelt haben, kommt jetzt die Autobranche dran.