© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/17 / 03. März 2017

Pankraz,
die Apokalypse und das große Warten

Großer Medienlärm wird zur Zeit in Hamburg  über gewisse Vorgänge in der und um die dortige Kunsthalle gemacht, unter dem Titel „Warten“. Im dritten Obergeschoß des berühmten Museums, wo die „Galerie der Gegenwart“ untergebracht ist, aber auch in anderen Räumen und Wandelgängen des Hauses und draußen vor ihren Toren kann man Leuten begegnen, die „auf etwas warten“. In der Galerie selbst gibt es Installationen und Fotografien, auf denen ebenfalls „gewartet“ wird.

Eine Kunstausstellung kann man das Ganze freilich nicht nennen, denn zu sehen gibt es so gut wie nichts. Leute warten eben einfach darauf, daß etwas geschieht – ein typischer Kuratoren-Einfall à la mode im Grunde. Denn das Warten an sich bedeutet überhaupt nichts, ist reine Zeitverschwendung. Der Mensch entgeht ihm,  indem er die (Warte-)Zeit – etwa durch allerlei billige Unterhaltung – totschlägt oder sie vernünftigerweise ausnützt, Pläne schmiedet, sich sorgfältig auf mißliche Eventualitäten vorbereitet.

Statt eine Ausstellung zu veranstalten, bei der es faktisch nichts zu sehen gibt, hätte die Kuratorin Brigitte Kölle, wenn es denn unbedingt sein mußte, besser ein philosophisches Kolloquium zum Thema „Warten“ organisieren sollen; selbst dann freilich hätte sie Mühe gehabt, einiges Interesse zu wecken und engagierte Referenten zu finden. Auch bei den Philosophen, den Spezialisten des Allgemeinen, ist das pure Warten immer ein Unthema gewesen, es sei denn, es ging um das „absolute“ Warten, das Warten auf den Tod und die Ewigkeit.


Leben ist das Wartezimmer zum Jenseits“, notierte beiläufig Spinoza und ließ es dabei bewenden. Goethe warnte später in seinen „Unterhaltungen deutscher Auswanderer“ energisch davor, in konkreten Lebenssituationen zuviel zu erwarten. Kluges, auf mögliche Enttäuschungen gefaßtes Ab-Warten sei stets besser als emphatisches Er-Warten. Im übrigen konnte er, wie die meisten klassischen Dichter und Denker, nur eine einzige positive Seite am „bloßen Warten“ erkennen: das Sich-Üben in Geduld. Pankraz findet das ein bißchen riskant,  die Geduld hält er nicht unbedingt für eine durchweg positive Kategorie.

Wie sagen die Italiener? „Oft läßt sich das, was sich nicht durch Gewalt besiegen läßt, ganz einfach durch Geduld besiegen.“ Das ist wohl wahr und klingt gut, doch verführt es leicht zu einem gleichgültigen und gefährlichen  „Laissez faire, laissez aller“ („Sollen die anderen das machen, laß die Dinge nur laufen“), mit dem man in vielen Lagen nur Schliff backen kann, ja schlimmes Unheil anrichtet. Das Warten wird hier zur offenen Flanke, in die andere Mächte, der Gewalt keineswegs abgeneigt, hineinstoßen und die Dinge für den Wartenden zum Schlechteren wenden. 

Betrachtet man die gegenwärtige Politik, so kann einem angst und bange werden. Das Warten, das bloße Abwarten und Laissez-aller, hat dort ein derartiges Ausmaß angenommen, daß man schon von einem völligen Abdanken noch irgendwie aktiven, echt dezisionistischen Handelns sprechen muß. An seine Stelle ist die bewußte Verlogenheit und Illusionsmacherei getreten: allwöchentlich Großkonferenzen, wo um „Durchbrüche“ herkulisch  „gerungen“ wird, inklusive televisionärer Großgruppenbilder aller Beteiligten – und in Wirklichkeit ist nichts passiert, und alle wissen es. 

Insofern wenigstens bietet „Warten“ in der Hamburger Kunsthalle ein ziemlich treffendes Abbild der gegenwärtigen politischen Situation. Hier wie dort, sowohl auf seiten der Kunst wie auf seiten der Politik, geschieht nichts, und es wird beiderseits so getan, „als ob“. Aber das Hamburger Event, sollte man gerechterweise hinzufügen, ist auch noch in anderer Hinsicht hochaktuell: Es markiert recht deutlich die große Unsicherheit, die die bisher tonangebenden Alphatiere des medialen Milieus befallen hat. Sie wissen buchstäblich nicht mehr ein noch aus und sind dabei, sich auf ein langes Abwarten einzustellen.


Ich fühle mich, als sei mir das Gehirn aus dem Kopf geflogen“, klagte kürzlich eines dieser Alphatiere und kündigte an, er werde zwecks Heilung und aushaltbaren Wartens nun öfter in den Zoo gehen, um den Elefanten und Giraffen beim Essen zuzusehen. Und dabei war nichts weiter passiert, als daß der neue US-Präsident Trump wieder einmal einen alle Gutmenschen empörenden Tweet auf Twitter plaziert hatte! Doch  der von nun ab gehirnlose Zoobesucher steht mit seiner  Panik nicht allein, bei weitem nicht. Die Panik ist vielmehr allgemein und treibt immer groteskere Blüten.

Fast könnte man meinen, wir stünden allesamt vor dem Weltuntergang, vor einer Art Apokalypse, in der zunächst einige unbeschreiblich gräßliche Riesentiere auftreten, ausgestattet mit ungeheuerlichen metaphysischen Möglichkeiten.

Nicht nur Donald Trump wird als solch ein apokalyptisches Tier gesehen, sondern auch Theresa May, Viktor Orbán, Marine Le Pen, Frauke Petry, Geert Wilders, nicht zu vergessen der unheimliche Strippenzieher Wladimir Putin mit seinen genialen Hackern, die alle elektronischen Sicherheitskanäle im Handumdrehen zu knacken verstehen.

Eine der (ganz wenigen) halbwegs eindrücklichen Installationen in der Hamburger Kunsthalle zeigt eine Sitzgruppe dumpf-ängstlicher Erdenbürger, die – wie einem erläutert wird – darauf warten, von ihrem „Chef“ empfangen zu werden und die dieser nun absichtlich lange warten läßt, um ihnen seine Macht zu demonstrieren. Die derzeitigen Alphatiere des politisch-medialen Komplexes sind wie jene Typen, die ängstlich auf ihren hämischen Chef warten. Für sie ist das Warten zur reinen Qual geworden, zum Warten auf die Apokalypse, wie sie sich sie vorstellen.

Dabei bedeutet Apokalypse, dem ursprünglichen Wortsinn nach, nichts anderes als Offenbarung, Offenlegung dessen, was wirklich passiert. Wer die Wahrheit sucht, darf sich richtig auf sie freuen. Er muß allerdings aufpassen, daß ihm sein Gehirn nicht vorher aus dem Kopf fliegt.