© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/17 / 03. März 2017

Solange die Richtung stimmt
Kompatibel mit dem Zeitgeist: Im Kampf für das Gute darf hemmungslos gehaßt werden
Michael Klonovsky

Wie wir den Bulletins der einschlägigen Bundesfürsorgestellen entnehmen, ist der „Haß“ im Lasterkatalog an die Spitze der Plagen gesetzt worden. Justizminister Heiko Maas hat die Verfolgung von „Hate Speech“ im Internet zur Chefsache erklärt; beharrlich fordert er vor allem von Facebook, gegen „Haßpostings“ vorzugehen. „Zwei Jahre Haß und Hetze“ überschrieben mehrere Zeitungen ihre Kommentare zum Pegida-Jubiläum. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hielt die Stigmatisierung des Hasses für so bedeutend, daß er aller diplomatischen Zurückhaltung entriet und den neuen US-Präsidenten keck einen „Haßprediger“ nannte. Der Haß, da scheinen sich alle einig, vergiftet das beste Deutschland, das es jemals gab.

Wie die Gesellschaftsdiagnostiker aus Politik, Medien und den Widerstandsnestern der Sozialwissenschaften versichern, bricht diese kollektive Aversion gegen alles Gute und Gutgemeinte vollkommen grundlos aus, verbreitet sich wie eine mentale Seuche und befällt vor allem weiße Männer, speziell deutsche und ganz besonders mitteldeutsche. Nur die Verhängung einer strengen Quarantäne über die Hasser kann helfen, begleitet von rigiden Maßnahmen der Haßprophylaxe, die auch schon mal die Grundrechte der Übeltäter tangieren dürfen, wo leben wir denn schließlich? Wenn erst der Atlantikwall des dunkeldeutschen Hasses überwunden ist, steht dem Diversity-Glück aller Erdenkinder nichts mehr im Wege. 

Das wirft Fragen auf. Zum Beispiel jene, warum genau jetzt ein Buch erscheint, welches die Kolumnen „100 Zeilen Haß“ des Schriftstellers Maxim Biller versammelt, die von 1987 bis 1996 im Magazin Tempo und in jenem der Zeit erschienen sind. Will etwa der Hoffmann & Campe-Verlag mit diesem Revival die Quarantäne durchbrechen? Quatsch: „Jede Kolumne ist ein pointierter Indizienprozeß im Dienst nur einer Sache: dem Kampf für das Gute und gegen alles Schlechte“, beruhigt der Klappentext des Verlages. Natürlich glaubt außer ein paar Zeit-Abonnentinnen niemand solcher Kindergärtnerinnenprosa, doch sie führt uns ins Zentrum des neuen deutschen Haßproblems. Haß ist nämlich nicht gleich Haß, so wie Brandstiftung nicht gleich Brandstiftung ist. Entscheidend sind die Motive. 

Billers Haßziele waren fast immer „rechts“, also kompatibel mit dem linken, linksliberalen, grünen Zeitgeist. Mochte er auch mal den Vegetarismus verspotten, geschah dies nicht ohne Hinweis auf jenen eines ehemaligen Reichskanzlers. Seine Kolumne hatte neben einer grundsoliden Aversion gegen alles traditionell Deutsche nur ein Motiv: Er begehrte den Applaus der Gesinnungsschickeria, er wollte sich nach oben hassen. Das ist nicht schön, aber legitim (außerdem ist die Prosa der Geltungssüchtigen oft besser als die der Bescheidenen). Jedenfalls gilt: Solange die Richtung stimmt, darf gehaßt werden.

Allzeit unbeanstandet blieb etwa die linke Straßenkampffolklore gegen das „Schweinesystem“ und den „Bullenstaat“ – solche Haßparolen galten bereits der Bundesrepublik der 1980er Jahre, dem zweitfriedlichsten Sozialparadies nach dem Auenland. Wenn der Nachwuchs aus dem rot-grünen Milieu die Haßkappe aufsetzte und „Unseren Haß könnt ihr haben“ kundtat, war das tolerabel. 

Im Februar 2014 ließ sich die „Aktivistin“ Anne Helm, damals Piratenpartei, heute Linke, mit der Aufschrift „Thanks Bomber Harris“ auf ihrem nackten Oberkörper zusammen mit einer anderen entblößten Menschenfreundin in Dresden fotografieren, um der Einäscherung der Schuldstadt ihre nachträgliche Zustimmung nicht zu versagen.

Julia Schramm, früher ebenfalls Piraten-, heute ebenfalls Linkspartei, begrüßte die Aktion mit dem Tweet „Sauerkraut, Kartoffelbrei – Bomber Harris, Feuer frei“. Das Wort „Kartoffelbrei“ bezog sich nach Darstellung der taz darauf, daß die deutschen Kartoffeln in Dresden zu Brei gebombt wurden – wobei vor allem die Nazi-Kinder höllisch aufheulten, als sich der Phosphorbrand in ihre Haut fraß. – Kann es etwas Haßerfüllteres geben, als die Bombardierung einer Stadt mit Zehntausenden Toten zu feiern und eine Wiederholung herbeizuphantasieren, weil heute dort Personen mit anderer Gesinnung und zuweilen auch Gesittung demonstrieren? Offenbar. Dürfte Frau Schramm denn sonst für die Amadeu-Antonio-Stiftung arbeiten, welche wiederum dem Justizministerium bei der Ausmerzung von „Hate Speech“ im Netz assistiert?

In einem Land, wo die Vizepräsidentin des Parlaments in einer Demo mitläuft, welcher ein Spruchband „Deutschland, du mieses Stück Scheiße“ vorangetragen wird, in einem Land, dessen elanvollste Gesinnungsfurie Heiko Maas via Twitter eine Combo für ihr Engagement gegen „Rechts“ lobt, die unter anderem: „Deutschland ist scheiße, Deutschland ist Dreck!“ oder „Deutschland verrecke, das wäre wunderbar!“ singt, in einem solchen Land scheint der Haß in der Tat ein Problem zu sein. 

Davon zeugten auch einige moralisch entgrenzte Büttenreden bei der diesjährigen Mainzer Fernsehfastnacht. Ein Redner etwa erklärte: „Die AfD ist die Bremsspur in der Unterhose Deutschlands“ und fluchte, einmal in Sportpalaststimmung gekommen, über die „braunen populistischen Kanalratten“. Ein anderer Humorist drohte: „In dem Europa, was wir uns wünschen, habt ihr keinen Platz. Packt eure Koffer, ihr Geschichtsfälscher, ihr Kleingartenfaschisten, und macht euch auf die Reise.“ 

Und dann erst der geifernde Haß auf Donald Trump, die hemmungslosen Beschimpfungen, die öffentlich ausgelebten Ermordungsphantasien – wir müssen die Eingangsprämisse dieser Betrachtung überdenken. Unmöglich kann aller Haß schlecht sein. Die besten Teile des deutschen Volkes beziehungsweise der Bevölkerung stünden ja sonst unter Verdacht!

Den Haß wiederum vieler neu zu uns gestoßener Mitbürger auf Christen und vor allem auf Juden, wie er sich in „Hamas, Hamas, Juden ins Gas!“-Rufen oder im Frohlocken über die Waldbrände in Israel artikulierte, lassen wir hier mal kultursensibel weg, sonst geraten wir noch in den Ruch der Ausländerfeindlichkeit. Aber und apropos: Wie verhält es sich eigentlich mit jener? Der Antipathie gegen eine gewisse ins Land strömende Klientel zu wehren, scheint ja das eigentliche Ziel aller taktvollen Zensurbestrebungen zu sein. Bricht auch diese Antipathie grundlos einfach so aus?

„Der Protest gegen die Massenimmigration von Analphabeten in die Industrieländer hat mehrere Aspekte, die keineswegs ‘dumpf’ oder ‘irrational’ sind, sondern denen eine differenziertere ökonomische und soziale Logik zugrunde liegt“, notierte der Historiker Rolf Peter Sieferle in seiner nachgelassenen Schrift „Das Migrationsproblem“. Die Verwandlung eines „ethnisch relativ homogenen Landes in einen Vielvölkerstaat“ binnen kurzer Zeit werde nicht ohne Konflikte ausgehen, „von beiden Seiten“. In der Politik hoffe man offenbar, „diesem Problem durch Diskriminierung und Repression der Protestierenden unter den Einheimischen begegnen zu können“.

Was – auch als Reaktion auf die Straftaten der Zuwanderer und die Kosten der Zuwanderung – jenen Fremdenhaß miterzeugt oder verstärkt, der sich heute naheliegenderweise in den sogenannten sozialen Medien austobt und dort im Regierungsauftrag zensiert wird. Die derzeitige Bundesregierung wäre ja nicht die erste Staatsführung, die Symptome bekämpft, welche sie mit ihrer Politik selber hervorgerufen hat. Die polizeiliche und justitielle Bekämpfung von Gewalt ist die selbstverständlichste Aufgabe jeder Zivilisation. Bei der Verfolgung rein verbaler Haßausbrüche liegen die Dinge aber keineswegs so eindeutig.

Nahezu ohne jedes Medienecho veröffentlichte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages Ende vergangenen Jahres ein Gutachten über „Haß und Hetze im Strafrecht“. Haß, heißt es dort, werde „seitens der höchstrichterlichen Rechtsprechung definiert als ‘eine gesteigerte, über die bloße Ablehnung oder Verachtung hinausgehende feindselige Haltung gegen den betreffenden Bevölkerungsteil’“. Allerdings könne eine sachliche, wahrheitsgemäße Berichterstattung in keinem Fall als Aufstacheln zum Haß angesehen werden, auch wenn sie „in tendenzieller Absicht“ erfolge und geeignet sei, „ein feindseliges Klima gegen einen Teil der Bevölkerung zu schaffen“.

Das geltende Strafrecht „knüpft die Strafbarkeit stets an Handlungen, nicht allein an Meinungen, Überzeugungen oder die Täterpersönlichkeit“, heißt es weiter. „Gedanken, Überzeugungen und Meinungen können für sich genommen nicht strafrechtlich relevant sein. Haß an sich mag also etwa aus moralischen Gründen abgelehnt werden, ist jedoch nicht strafbar. Auch die Qualifikation einer Äußerung als ‘Hetze’ besagt noch nichts über deren strafrechtliche Relevanz.“

Die von Maas, seiner Parteifreundin Manuela Schwesig und anderen Zeloten des tendenziösen Wohlmeinens ausgeheckten „Hate Speech“-Sanktionen sind also reine Willkür. Deswegen wollen diese Genossen auch nicht das geltende Strafrecht im Netz durchsetzen, sondern ein von ihnen geschaffenes Sonder- und also Unrecht, bestehend aus Gesinnungskontrolle, Löschung und willkürlicher Sperrung ohne juristische Legitimation. Und deswegen setzen sie ein Privatwirtschaftsunternehmen unter Druck, denn in der allgemeinen Öffentlichkeit bedürfte es für ihr Vorgehen einer Grundgesetzänderung. 

„Es ist leichter, mit dem Trinken aufzuhören als mit dem Hassen“, befand der Schriftsteller Philip Roth. Der Haß gehört zur menschlichen Natur und ist unabschaffbar wie seine Kehrseite, die Liebe. Solange er sich nur verbal austobt und dabei strafrechtlich relevante Sachverhalte wie Beleidigung nicht berührt, wird man mit ihm leben müssen.