© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/17 / 03. März 2017

Symbolischer Stinkefinger
Ästhetik des Widerstands: Zum Protest gegen die Bus-Installation auf dem Dresdner Neumarkt
Thorsten Hinz

Mit einer präzise geplanten Kunstaktion haben Angehörige der Identitären Bewegung am Montag, dem 20. Februar, sich auf dem Dresdner Neumarkt der Bus-Installation „Monument“ des gebürtigen Syrers Manaf Halbouni angenommen. Früh um sieben Uhr ließen zwei Männer in orangefarbenen Westen sich auf einem Hubsteiger in die Höhe tragen, wo sie ein Spruchband mit den Worten „Eure Politik ist Schrott – Keine Interventionskriege, Keine Waffenlieferungen, Keine Migration“ befestigten. Mehrere Beteiligte filmten und fotografierten die Aktion. Nach einigen Stunden wurde das Transparent entfernt, doch mit den im Internet kursierenden Fotos und Videos ist die Performance zum integralen Teil der Installation geworden und wendet sich wie ein inhalierter Virus gegen sie.

Halbouni zufolge handelt es sich bei dem Werk um „ein Friedensmahnmal (...), eine moderne Freiheitsstatue“, die zugleich an die Zerstörung Aleppos erinnern soll. Eine „weitere politische Message“ habe er nicht.

Die Mahnung zum Frieden ist bereits der Frauenkirche genetisch eingeschrieben. Ihre Wiedererrichtung fand unter internationaler Beteiligung einschließlich der ehemaligen Kriegsgegner statt. Es ist nachvollziehbar, daß der Künstler von der Aura des barocken Prachtbaus, der den Hintergrund für die aufgerichteten Aleppo-Busse bildet, profitieren wollte. Künstlerisch gerechtfertigt wäre der Standort aber nur, wenn sich aus dem kontrastierenden Bezug zwischen der alt-neuen Kirchenfassade und dem historisierenden Neumarkt einerseits und den kriegsbeschädigten Busfragmenten andererseits eine originäre, ästhetisch vermittelte Erkenntnis ergeben würde.

Die Friedens- und Freiheitsbotschaft ist fragwürdig, weil eine Fotografie vom März 2015 beweist, daß einer der drei Originalbusse, die in Aleppo eine Barrikade bildeten, mit der Flagge der Rebellengruppe Ahrar ash-Sham garniert war. Diese strebt einen islamischen Staat an, der auf dem Recht der Scharia beruhen soll. Somit transportiert das „Monument“-Projekt eine implizite Kriegserklärung. Der Künstler und die lokalen Behörden, die seinem Ehrgeiz nachgaben und ihm den Neumarkt zur Verfügung stellten, waren seinerzeit ahnungslos. Anständigerweise müßten sie nun den sofortigen Rückbau veranlassen. Der persönliche und – vor allem – der politische Gesichtsverlust wären jedoch zu groß!

An Protestformen der sechziger Jahre anknüpfen

Doch auch ohne Scharia-Semantik wirkt das „Monument“ willkürlich und gewaltsam, denn zwischen der Zerstörung Dresdens und dem Bürgerkrieg in Syrien besteht weder ein kausaler, historischer, politischer noch sonstiger Zusammenhang. Den Brückenschlag in den Nahen Osten ausgerechnet im zeitlichen Umfeld des 13. Februar zu plazieren, der dem Gedenken an die Zerstörung der Stadt gehört, wurde mit der notwendigen Aktualisierung und Universalisierung des Gedenkens begründet.

Mit viel mehr Recht könnte man am 27. Januar, dem Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus, an geeigneter Stelle eine Gulag-Installation plazieren eingedenk der klassischen Sätze Ernst Noltes: „War nicht der ‘Archipel GuLag’ ursprünglicher als Auschwitz? War nicht der ‘Klassenmord’ der Bolschewiki das logische und faktische Prius des ‘Rassenmords’ der Nationalsozialisten?“ Eine solche Überformung des Gedenkens an die NS-Opfer würde mit allen Mitteln als Entsorgungsversuch zurückgewiesen werden.

Um so klarer tritt umgekehrt die „politische Message“ der Bus-Installation hervor. Es handelt sich darum, den Dresdner „Opfermythos“ – ein Begriff, der im Sinne von „Mystifikation“, vulgo: „Geschichtsfälschung“ benutzt wird – durch Überformung zu neutralisieren und anschließend in den bundesdeutschen Schulddiskurs zu überführen. 

Die temporäre Installation im öffentlichen Raum wurde seit den 1960er Jahren als Variante der Aktionskunst populär. Sie sollte den Blick auf die Umgebung verfremden und beim Betrachter einen Denkprozeß auslösen. Unter anderen Umständen könnte die Stationierung eines aktuellen Kriegsartefakts inmitten rekonstruierter Anmut als Mahnung verstanden werden, daß kein noch so idyllischer Ort in Deutschland und Europa sich von fernen Kriegsgreueln absentieren kann. Doch diese Botschaft ist überflüssig, denn die eigene Regierung hat dafür gesorgt, daß unter Berufung auf den Syrien-Krieg Hunderttausende ins Land geströmt sind. Das „Monument“-Werk propagiert die Regierungspolitik lediglich und bildet den symbolischen Stinkefinger in Richtung derer, die sich gegen die Tribalisierung des Landes wehren.

Das wirft die Frage nach dem künstlerischen Wert der „Monumente“ auf. Für Heiner Müller, der 1990 in Berlin eine Aktionskunst unter dem Titel „Die Endlichkeit der Freiheit“ mitinitiierte, war klar: „Das Lebendige an der Kunst ist die Differenz zur Politik – das Kunstwerk weist sowohl auf den Terror der Verwirklichung als auch auf das Unwirkliche hin.“ 

Um diese Qualität zu erreichen, hätte Halbouni die Busse mit dem Lkw vom Berliner Breitscheid-Platz kombinieren, sie in No-go-Areas, in Banlieues, vor eine Ditib- oder Salafisten-Moschee aufstellen müssen. Sogar die unfreiwillige Scharia-Botschaft hätte dann einen widerständigen Sinn erhalten. Jetzt verkündet die Bus-Installation der Stadt und dem Land: Friß, Vogel, oder stirb! Beziehungsweise beides! Der Aktions- entlarvt sich als Staatskünstler und sein Werk als eine politische Machtdemonstration.

Der lautstarke Protest vor Ort konnte als Fußnote abgetan werden, solange er keine ikonische Präsentation fand. Am 20. Februar haben die Aktivisten die Ästhetik der Macht mit einer Ästhetik des Widerstands gekontert. Auch sie knüpfen an linke Protestformen der sechziger Jahre, an Happenings und Varianten wie Go-Ins, Teach-Ins, Sit-Ins, Love-Ins an. Praktiziert wurde die begrenzte Regelverletzung, die das scheinbar Selbstverständliche der als repressiv empfundenen Strukturen und Institutionen in ihrer Absurdität darstellen sollten. Inzwischen ist die provokante Geste der Linken zu einer Pose geworden, hinter der allerdings politische und Repressionsmacht steckt. Die Dresdner Aktivisten haben dem Staatskünstler Halbouni mit einem Schlag den avantgardistischen Nimbus entwunden und den Zusammenhang von verantwortungsloser Politik und epigonaler Staatskunst demonstriert.

Die Leiterin des Dresdner Kunsthauses und des „Monument“-Werks, Christiane Mennicke-Schwarz, hat  die Aktion als „armselig“ und „kindisch“ bezeichnet. „Ich finde es beschämend, daß es Menschen gibt, die nicht in der Lage sind, sich eine eigene Plattform zu schaffen, und stattdessen ein Kunstwerk für ihre Botschaften instrumentalisieren“, wurde sie von den Medien zitiert.

Alles daran ist falsch. Die Installation ist keine „eigene Plattform“, sondern sie nutzt als solche einen exklusiven öffentlichen Raum. Den nutzten mit gleichem Recht auch die Performance-Aktivisten und treten dem Werk auf gleicher Ebene entgegen. Ein modernes Kunstwerk ist eine offene Struktur, ein Angebot zur Kommunikation. Die Aktivisten haben es wahrgenommen und ihre Antwort gegeben. Frau Mennicke-Schwarz hingegen möchte die Installation als einen sakralen Fetisch behandelt wissen – offenbar hat sie wenig Vertrauen in ihre künstlerische Autonomie und Kraft.