© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/17 / 03. März 2017

Brünnhilde als Glutkern im Eisquader
Richard Wagner: Am Badischen Staatstheater entsteht ein neuer „Ring“ / In der „Walküre“-Inszenierung überzeugen Sänger und Orchester
Sebastian Hennig

Die großen Opernhäuser benötigen heute einen langen Anlauf, bevor Richard Wagners komplette „Ring“-Tetralogie auf die Bühne gehoben ist. Am Badischen Staatstheater Karlsruhe endete der letzte Zyklus mit Denis Kriefs Inszenierung der „Götterdämmerung“ 2006, und zehn Jahre später feierte ein neuer „Rheingold“-Vorabend des nächsten „Rings“ bereits wieder Premiere.

Im Wagner-Jahr 2013 hatte der Generalmusikdirektor Justin Brown seine Lorbeeren noch mit dem alten „Ring“ ernten müssen. Nicht zuletzt sein Erfolg als Wagner-Dirigent wird den Ehrgeiz dazu gespornt haben, am Ober-

rhein nach so kurzer Zeit erneut einen „Ring“ zu schmieden. Engagiert wurden dafür verschiedene Regisseure, womit unterbunden ist, daß ein Einzelner auf ungebührliche Weise das gewaltige Musikdrama mit seinen dramaturgischen Einfällen überlagert. 

Überraschen kann den regelmäßigen Opernbesucher heute nichts mehr. Um so größer ist die Überraschung, daß in Karlsruhe ein Ensemble mit nur zwei Gastsängern in den Hauptrollen, nämlich Peter Wedd als Siegmund und Heidi Melton als Brünnhilde, eine derartig gleichmäßig gute Darbietung wie jetzt in der „Walküre“ möglich macht. Ihre Ehrentitel als Kammersängerinnen tragen die vier Damen vom Haus, Ewa Wolak als Fricka, Barbara Dobrzanska als Helmwige, Ina Schlingensiepen als Ortlinde und Tiny Peters als Roßweiße, ebenso verdient, wie ihre Ensemblekollegen jeder Ehre wert sind.

Es ist kein Konditions- oder Qualitätsunterschied zwischen den Gastsängern und den heimischen Kräften zu bemerken. Vor allem Renatus Meszar als Wotan erweist sich als ein Steher bis zum letzten Ton. Einen derart guten Eindruck vermag keine Inszenierung wieder auszutilgen. Zumal sich in Karlsruhe der übliche Kontrast zwischen festlichem Raum und brutalem Bühnenbild umkehrt.

Wer beispielsweise in der Berliner Lindenoper, der Semperoper Dresden oder der Alten Oper in Frankfurt zwischen Vergoldung, Lüstern und Samtvorhängen sitzend auf der Bühne dann einen Bunker oder eine Tankstelle als Spielort offeriert bekommt, für den ist die Spanne zwischen Verheißung und Enttäuschung riesig. Aber den Brutalismus von Helmut Bätzners Betonklotz aus der ersten Hälfte der siebziger Jahre kann keine Inszenierung unterbieten. Doch so absichtsvoll niederschmetternd wie das Foyer auf das Gemüt wirkt, so zweckmäßig und auf den Handlungsort zentriert erweisen sich Saal und Bühne. Dieses Verhältnis ist nahezu genial. Die Bühne ist riesig, sie bedeutet die Welt. Alle Aufmerksamkeit wird durch sie angesaugt.

Dekorative Strohfeuer auf komponierte Effekte

Neben recht mittelmäßigen Darstellungen gelingen der Inszenierung von Yuval Sharon und dem Bühnenbild von Sebastian Hannak immer wieder auch großartige Bilder. Die modernen Raumerfahrungen werden hier nicht destruktiv angewandt, sondern tragen zu einer szenischen Erhellung bei. Eine gewaltige marmorne Rolltreppe befördert Wotan und Brünnhilde vor goldener Wand aus der Tiefe herauf. Diese verschwindet dann wieder in steiler Abfahrt, während die zankende Fricka (Ewa Wolak) von oben herannaht. Noch vor dem dritten Aufzug bekommt die Badische Staatskapelle einen begeisterten Applaus gespendet. 

Weil nun Orchester und Sänger so verblüffend gut sind, wirkt sich die optische Effekthascherei weit weniger ärgerlich aus, als es bei einer musikalisch substanzloseren Aufführung der Walküre der Fall sein würde. Dennoch bleiben auch hier Regisseur und Bühnenbildner sowie der Videogestalter Jason H. Thompson Konsumenten einer vom Musikdramatiker geschaffenen Situation. Anstatt Eruption und die Stagnation in Wagners gewaltigen Sinnbildern behutsam zu verbinden, satteln sie einmal mehr ihre dekorativen Strohfeuer auf die komponierten Effekte.

Das klappt freilich immer. Die Wirkung unterscheidet sich aber kaum von der Wagner selbst so verhaßten, etwa wenn er erleben mußte, wie Kurkapellen die Tannhäuser-Ouvertüre auf der Promenade nachschmetterten. Der Komponist hat geahnt, was ihm hier blüht, wie sich die narkotisierende Wirkung seiner Musik verselbständigt. Etwa wenn heute der Lohengrinsche Hochzeitsmarsch „Treulich geführt“ als Begleitmusik, meist auf der Orgel gespielt, zur bürgerlichen Trauzeremonie dient. Oder der Walkürenritt häufig in Filmen und der Werbung verwendet wird. Die sein Werk davor zu erretten bestellt sind, zumindest auf der Opernbühne, nehmen stattdessen den größten Schluck aus der Pulle. Regisseure berauschen sich an der famosen Wirksamkeit dieser Stücke, lassen in ihren Inszenierungen aber den Zusammenhang vermissen. Die große Zeit des Regietheaters im negativen Sinne ist zwar vorüber, aber ein positives Regietheater noch nicht gefunden. Zwischen Ratlosigkeit und Trägheit pendeln die Gewohnheitsmenschen der Szene.

Eisspitzen erinnern an Caspar David Friedrich

Was sich eigentlich alles mit der neuesten Technik machen ließe, wird an den atemberaubenden Spielereien deutlich. Die Walküren landen nach langem Flug als Fallschirmjäger in einer beschneiten Hochgebirgslandschaft. Die übereinander getürmten Eisspitzen erinnern ein wenig an die aufdringliche Metaphorik von Caspar David Friedrichs Gemälde „Die gescheiterte Hoffnung“.

Nach der Auseinandersetzung mit Wotan sinkt Brünnhilde unter einem grauen, vom Schnee schwangeren Himmel hinab, als würde ihre glühende Liebe sie in den Schneeberg einschmelzen.

Folgerichtig gelangt sie während Loges Beschwörung als Glutkern eines durchgefrorenen Eisquaders wieder zum Vorschein. Fliederfarbener Dampf und violettes Gestöber hüllen die Szenerie ein. Zuletzt wird auch Wotan von kaltrotem Nebel verschluckt. Ein Glutfrost durchzieht die Szene.

Im Juni wird der Göttervater dann ein letztes Mal in der Tetralogie als geheimnisvoller Wanderer wieder erscheinen. Dann wird „Siegfried“ in der Regie des Isländers Thorleifur Örn Arnarsson zur Premiere kommen. Im Oktober beschließt Tobias Kratzer mit „Götterdämmerung“ das Bühnenfestspiel. Zu Ostern und Pfingsten nächsten Jahres soll dann der neue Karlsruher „Ring“ in zwei vollständigen Zyklen zur Aufführung gelangen.

Die nächsten „Walküre“-Vorstellungen im Badischen Staatstheater Karlsruhe, Hermann-Levi-Platz 1, finden am 4. März und 15. April jeweils um 17 Uhr statt. Kartentelefon: 07 21 / 933 333

 www.staatstheater.karlsruhe.de