© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/17 / 10. März 2017

„Du hast mich abgeschossen“
Vorstandswahl der AfD im Südwesten: Die Favoritin unterlag dem Herausforderer / Ein interner Machtkampf überschattet den Landesparteitag
Michael Paulwitz

Es hätte ein eindrucksvolles Startsignal für den Bundestagswahlkampf werden können. Statt dessen überlagerten interne Verwerfungen und persönliche Rivalitäten den Landesparteitag der baden-württembergischen AfD am ersten Märzwochenende in Sulz am Neckar: Landtagsfraktionschef Jörg Meuthen fällt vor der Neuwahl des Landesvorstands der Bundestags-Spitzenkandidatin Alice Weidel in den Rücken, auf der Tagesordnung stehen Satzungsanträge, die an grüne „Fundi-Realo“-Debatten längst vergangener Tage gemahnen, und das Parteiausschlußverfahren des Bundesvorstands gegen den Thüringer Landes- und Fraktionschef Björn Höcke schwebt als Menetekel der Uneinigkeit über dem Tagungssaal in der Stadthalle im Backsteinbau der Kleinstadt am Rande des Nordschwarzwalds.

Schon der Auftakt verhieß einen turbulenten Parteitag: Statt der protokollarisch üblichen freundlichen Grußworte begab sich der scheidende Landessprecher Bernd Grimmer auf einen kuriosen geschichtspolitischen Parcours im Höcke-Stil, während der ursprünglich gar nicht als Redner vorgesehene Jörg Meuthen gleich zum Generalangriff ausholte: Parteiamt und Parlamentsmandat in einer Person – „das geht nicht“, postulierte Meuthen, der sein Landessprecheramt selbst abgegeben hatte, nachdem er in seiner über die Causa Gedeon gespaltenen und wiedervereinigten Fraktion in die Defensive geraten war. Sein eigenes Bundessprecheramt meinte der Landtags-Fraktionschef damit offensichtlich nicht.

Zu lange über „Interna und Trallala“ geredet 

Meuthens Attacke richtete sich unausgesprochen gegen alle Bewerber um den Landesvorsitz mit Ausnahme seines bisherigen Bürochefs Ralf Özkara, vor allem aber gegen Bundestags-Spitzenkandidatin Alice Weidel, die erst wenige Tage vor dem Parteitag ihre Kandidatur öffentlich angekündigt hatte. „Meuthen argumentiert für seinen Büroleiter“, kritisiert ein Mitglied, „eine Schande“ sei diese Beschädigung der Spitzenkandidatin, empörte sich der Landtagsabgeordnete Heinrich Fiechtner. „Du hast mich abgeschossen“, konfrontierte Weidel ihren Bundesvorstandskollegen eisig.

Tatsächlich wurde der bislang wenig bekannte Özkara in der Stichwahl mit 224 zu 209 Stimmen zum ersten Landessprecher bestimmt, nachdem Weidel im ersten Wahlgang noch knapp vorne gelegen, aber die erforderliche absolute Mehrheit verfehlt hatte. Bei der Wahl zum zweiten gleichberechtigten Sprecher setzte sich dagegen Marc Jongen, Nummer drei der Bundestagsliste, klar gegen den dem Höcke-„Flügel“ zugerechneten Landtagsabgeordneten Bernd Gögel durch. Der wurde schließlich einer von zwei stellvertretenden Landessprechern, nachdem zuvor der Böblinger Kreissprecher Martin Hess, der als kommendes politisches Talent gilt und ebenfalls einen aussichtsreichen Bundestags-Listenplatz hat, mit klarer Mehrheit gewählt worden war.

Zuvor schienen sich die Wogen noch geglättet zu haben. Ein Resolutionsentwurf des Lahrer Rechtsanwalts Thomas Seitz, der die Rücknahme des Parteiausschlußverfahrens gegen Höcke forderte, war zwar zunächst weiter vorne auf die Tagesordnung gesetzt worden, die Mehrheit der gut 400 Mitglieder im Saal entschied dann aber, sich mit dem Antrag gar nicht zu befassen. Ein auf Abschottung zielender Antrag, ehemalige Mitglieder anderer Parteien erst nach einjähriger Wartefrist aufzunehmen, verfehlte ebenso die notwendige Zweidrittelmehrheit wie ein Satzungsänderungsantrag zur kategorischen Trennung von Amt und Mandat. Es seien schließlich die Mandatsträger, die in der Öffentlichkeit stünden, hatte Jongen dagegen argumentiert; ein Landesvorstand ohne Mandatsträger stehe immer im Schatten der gewählten Abgeordneten.

So hatte auch Alice Weidel in ihrer Vorstellung den Angriff Meuthens pariert. Daß Spitzenkandidaten zugleich Landessprecher sind, sei völlig normal. Auch bei der AfD ist das die Regel, bestätigt ein Blick auf das Personaltableau der AfD in anderen Landesverbänden. Man habe jetzt stundenlang über „Interna und Trallala“ geredet, man müsse sich endlich mit den wahren Problemen der Bürger beschäftigten: den permanenten Rechtsbrüchen bei Euro und Einwanderung, der Massenimmigration aus muslimischen Ländern, dem drohenden Bargeldverbot, der verheerenden, „durchgegenderten“ Bildungspolitik und der desolaten Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. 

„Die Zerstrittenheit kotzt mich an“

Özkara apppellierte dagegen an innere Befindlichkeiten. Er wolle das frühere „Wir-Gefühl“ zurück und die „Spalterei“ beenden; die „Zerstrittenheit“ der letzten Wochen „kotzt mich an“. Wie Meuthen kritisiert auch Özkara das Parteiausschlußverfahren gegen Höcke, dem Alice Weidel im Bundesvorstand zugestimmt hatte. Er wolle die Partei „einen“ und sei absolut kein „Flügel“-Mann, beteuert Özkara und übt gegenüber der JUNGEN FREIHEIT den Schulterschluß zur Schadensbegrenzung: Alice Weidel sei und bleibe die Spitzenkandidatin und werde unterstützt. Die zeigt sich gelassen: „Ich freue mich darauf, endlich Wahlkampf zu machen und die Probleme des Landes zu benennen, die die Bürger tatsächlich umtreiben“, erklärt sie im Gespräch mit dieser Zeitung. 

Alice Weidel steht für eine freiheitlich-konservative Linie, aus der auch Meuthen bislang seine Reputation bezog. Die vor wenigen Monaten gewählten Bundestagskandidaten liegen ebenfalls auf dieser Wahlerfolg versprechenden Linie. In der Gedeon-Affäre hatte Weidel Meuthen noch demonstrativ unterstützt. Mancher spricht schon von einem „Pyrrhussieg“ des Bundessprechers über die Vorstandskollegin. In der eigenen Fraktion mußte Meuthen unterdessen selbst eine Abstimmungsniederlage hinnehmen: Der Antrag, den Abgeordneten Heinrich Fiechtner, einst enger Verbündeter Meuthens, jetzt von diesem kaltgestellt, auf zwei Monate von den Fraktionssitzungen auszuschließen, wurde von der Landtagsfraktion nicht bestätigt.





Von Storch in Berlin Spitzenkandidatin

Die EU-Abgeordnete Beatrix von Storch führt die Landesliste der Berliner AfD zur Bundestagswahl an. Sie erhielt bei der Wahlversammlung am vergangenen Wochenende 195 von 290 Stimmen. Auf Platz 2 wurde das Mitglied des Abgeordnetenhauses Gottfried Curio gewählt, gefolgt von Götz Frömming sowie der Richterin Birgit Malsack-Winkemann. Der Publizist und ehemalige stellvertretende Chefredakteur der Bild am Sonntag, Nicolaus Fest, wurde auf Platz 5 gewählt. Bei einem Ergebnis von rund zehn Prozent gilt der Einzug von vier Berliner Kandidaten als sicher. Auch in Rheinland-Pfalz wählte die AfD ihre Bundestagskandidaten. Auf dem Landesparteitag in Bingen setzte sich im Kampf um Platz 1 der 27jährige Fraktionsgeschäftsführer Sebastian Münzenmaier bereits im ersten Wahlgang gegen Nicole Höchst und Christiane Christen durch. Höchst ging zunächst als Favoritin von AfD-Landeschef Uwe Junge ins Rennen. Auf den weiteren Listenplätzen folgen Heiko Wildberg, Andreas Bleck und Nicole Höchst. Auch hier gelten die ersten vier Listenplätze als derzeit aussichtsreich.