© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/17 / 10. März 2017

Kuhklau wird zur Existenzbedrohung
Brandenburg: Viehdiebe stahlen allein in diesem Jahr bereits 120 Rinder / Polizei ist sich sicher: Tiere gehen nach Osteuropa
Lukas Steinwandter

Im Schutz der Dunkelheit fährt ein Lastwagen vor. Mehrere Männer steigen aus und brechen das Zaungatter auf. Nachdem sie zwei Dutzend Rinder zusammengetrieben und in den Laster geladen haben, fahren sie los. Als der Landwirt am nächsten Morgen nach dem Rechten schauen will, ist seine Herde stark dezimiert, sind die fehlenden Rinder spurlos verschwunden.

Denn die Viehdiebe sind gut organisiert und planen ihre Coups sorgfältig. Vor allem in Brandenburg sind sie aktiv. Allein in diesem Jahr stahlen sie dort rund 120 Tiere, zumeist Rinder. Die Bauern sind nahezu machtlos, die Polizei bleibt meist ohne konkrete Hinweise. 

Polen ist für Rinderdiebe nur Transitland

„Es gibt kein Muster, das die Täter verfolgen“, sagt Sebastian Scholze vom Landesbauernverband Brandenburg (LBV) der JUNGEN FREIHEIT. Vor gut zwei Wochen schlugen sie in Luckau im südlich von Berlin gelegenen Landkreis Dahme-Spreewald zu. „Die Täter stahlen 32 von 90 Rindern. Wir haben uns das danach sehr genau angeschaut“, erklärt Scholze. Schaden: 35.000 Euro. Vierzehn Tage vorher hatten Diebe aus einem Stall auf dem Gelände einer Agrargenossenschaft in Südbrandenburg 40 Rinder gestohlen, davon 28 Kälber und neun Bullen. 

Insgesamt befanden sich in dem Stall rund 180 Tiere. Ende Januar waren Unbekannte in die Stallung eines Agrarbetriebs im Kreis Oder-Spree eingedrungen und stahlen vier wertvolle Zuchtbullen. Der Betrieb bezifferte den Schaden auf 20.000 Euro. Zwar übernehmen die Versicherungen meist solche Schäden, für die Betriebe werden sie trotzdem zur Existenzbedrohung, warnt Scholze. „Es dauert manchmal Jahre, bis ein Betrieb einen solchen Diebstahl kompensiert hat.“ Zunächst muß ein geeigneter Bulle gefunden werden, dann vergehen Monate, bis er sich an Hof und Herde angepaßt hat. 

Die Bauern fordern mehr Polizei. „Die Zunahme von Viehdiebstählen ist ein zusätzliches Argument gegen die Ausdünnung der Polizei im ländlichen Raum“, konstatiert Reinhard Jung vom Bauernbund Brandenburg. „Vielleicht auch ein Argument für Grenzkontrollen.“ Wohin das gestohlene Vieh genau gebracht wird, ist unklar. „Wir sind uns sicher, daß die Tiere nach Osteu-ropa gehen, außerhalb der EU“, meint der Pressesprecher im Polizeipräsidium Brandenburg, Mario Heinemann, gegenüber der JF. 

Die Fälle behandelt die Abteilung „Organisierte Kriminalität“ des Landeskriminalamts Brandenburg. Daß die Banden gut organisiert sind, glaubt auch Jung. „Das Verladen ist aufwendig und gefährlich. Der Diebstahl von Rindern verlangt also ein hohes Maß an Professionalität und krimineller Energie.“

Im vergangenen Jahr wurden 24 Viehdiebstähle gemeldet, 2015 waren es 19. „Drastisch angewachsen ist aber die Zahl der Tiere, die gestohlen wurden“, mahnt Heinemann. Während es 2015 noch 59 waren, registrierte die Polizei im Jahr darauf mehr als 260 gestohlene Tiere. Das Phänomen tritt in dieser Größenordnung nur in Brandenburg auf. Weder in Mecklenburg-Vorpommern noch in Sachsen ist die Zahl der Viehdiebstähle in den vergangenen Monaten derart gestiegen. „Wir stehen in intensivem Kontakt mit den Kollegen in Polen“, erklärt der Beamte, „doch Polen ist nur ein Transitland.“ Auch Scholze glaubt nicht, daß die Rinder innerhalb der EU verkauft werden. „Jedes Tier hat zwei Marken im Ohr.“ Zwar gebe es Fleischer, die Rinder auf dem Schwarzmarkt einkauften und sie sofort schlachteten, aber das sei selten. 

Wie sich schützen vor einer professionell agierenden Diebesbande, die sowohl in Ställen als auch auf Weiden zuschlägt? „Die Landwirte können ihre Höfe nicht zu Festungen ausbauen“, sagt Heinemann. Das bestätigt Scholze vom LBV: „Nur die wenigsten können sich Überwachungsanlagen leisten.“ Einige Bauern ändern ihre Strategie – sehr zum Ärger der Verbraucher. Die Kühe werden immer öfter in Ställen untergebracht. Die Kunden wollen aber Fleisch von Tieren, die in ihrem natürlichen Lebensraum und so oft wie möglich im Freien sind. Die Diebstähle nehmen zudem zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt zu.

Die meisten Milchbetriebe stehen unter großem finanziellen Druck. 2016 ging als ökonomisches Horrorjahr in die Geschichte von Brandenburgs Bauern ein. „60 Milchbetriebe haben im vergangenen Jahr dichtgemacht“, gibt Scholze zu bedenken. Die brandenburgische AfD sieht eine Lösungsmöglichkeit in der Schließung der Grenze zu Polen: „Wir wollen uns mit dieser Realität nicht abfinden und haben deshalb wiederholt die Einführung von scharfen Grenzkontrollen gefordert“, erklärt der landwirtschaftspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Sven Schröder. „Leider stießen wir damit bei der Landesregierung immer wieder auf taube Ohren.“ Daß diese Probleme nicht härter angegangen würden, sei „ein deutliches Armutszeugnis für die rote Landespolitik“.