© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/17 / 10. März 2017

Subversive Kraft
Ausstellung: „Luther – 1917 bis heute“ im Landesmuseum Klosterkultur Dalheim
Karlheinz Weißmann

Die Jahreszahlen 1917, 1933, 1983 markieren die wichtigsten Daten der Martin-Luther-Jubiläen in den letzten einhundert Jahren: der 400. Jahrestag des Thesenanschlags, der 450. und der 500. Geburtstag Luthers. Eine interessante Ausstellung im Kloster Dalheim (Kreis Paderborn) widmet sich der Art und Weise, wie man aus dem jeweiligen Anlaß Geschichte behandelt hat, wie sie präsentiert und welche Lehren aus ihr gezogen wurden. Und selbstverständlich steht dabei immer die Frage im Hintergrund, was das alles für das „Lutherjahr 2017“ bedeutet.

Mit Hilfe eines erstaunlich reichen und gut präsentierten Materials macht die Ausstellung vor allem das überraschend hohe Maß an Kontinuität deutlich. Selbstverständlich war der Tonfall, in dem man während des Weltkriegs der Reformation oder der Person Luthers gedachte, ein anderer als unmittelbar nach Hitlers Machtübernahme oder im geteilten Deutschland. Aber im Prinzip hatte man weder 1917 noch 1933, noch 1983 Zweifel, daß die Reformation ein bedeutendes – im positiven Sinn bedeutendes – Ereignis war, daß die Besinnung auf dieses Erbe wichtig sei und Luther in dem Zusammenhang die alles überragende Figur.

Das hatte im ersten Fall damit zu tun, daß das Bündnis von Thron und Altar im Kaiserreich vor allem ein Bündnis zwischen dem evangelischen Herrscherhaus der Hohenzollern und den evangelischen Kirchen war, während es im zweiten darum ging, wenn schon kein Bündnis von Nation und Altar zu erreichen, dann doch den neuen Herren Loyalität zu demonstrieren und sie auf ein wohlwollendes Verhältnis gegenüber dem Protestantismus festzulegen. Im dritten Fall ging die Initiative von der „Erbe-Politik“ der SED-Führung aus, die nach einer längeren Phase des Zögerns bemüht war, Luther zu vereinnahmen, was den Westen zu einer Reaktion zwang und zu einer Art Aufholrennen gegenüber den umfangreichen Vorbereitungen für das Gedenkjahr 1983, die der Osten schon getroffen hatte.

Die SED-Führung vereinnahmte Luther

Diese Entwicklung in einer ruhigen und wohltuend sachlichen Art und Weise vorzustellen, gehört zu den großen Verdiensten der Ausstellung. Selbstverständlich fehlt es nicht an kritischen Untertönen, wenn es sich etwa darum handelte, Luther allzu plump für die Vaterlandsverteidigung zu mobilisieren, ihn nur noch als nationalen Heros zu feiern oder wegen seiner Judenschrift gar zum Vorläufer Hitlers zu machen.

Allerdings mußten auch die ideologisch Interessierten rasch den begrenzten Nutzen solcher Manipulation erkennen. Das wird nicht nur an der deutlichen und zunehmenden Distanz des NS-Regimes erkennbar, sondern auch am zögernden Vorgehen der DDR. Dort hatte man ursprünglich in marxistischer Tradition Luther als „Fürstenknecht“ apostrophiert, seine Wendung gegen die Bauern gegeißelt und den linken Flügelmann der Reformation Thomas Müntzer als Alternativ-Luther aufgebaut. Aber schon in den sechziger Jahren setzte die Rehabilitierung Luthers ein. Dabei wollte man Luther nicht nur für eine Art Regionalpatriotismus nutzen – immerhin lagen alle seine Wirkungsstätten auf dem Gebiet der DDR –, sondern immer auch die gesamtdeutsche Perspektive im Blick behalten.

Der Aufwand, den ein so kirchenfeindlich eingestellter Apparatschik wie Honecker im Vorfeld von 1983 trieb, bleibt auch aus der zeitlichen Distanz erstaunlich. Allerdings ging der Versuch der Einvernahme nicht ganz störungsfrei ab. Zum einen weil es in den Reihen der Staatspartei selbstverständlich Irritationen über die Umwertung gab, zum anderen, weil die reformatorische Botschaft, ganz gleich wie sehr man sie beschnitt, in einem totalitären System doch subversive Kraft entfalten mußte.

Umgekehrt hatte man in der späten Bundesrepublik eher mit dem tendenziellen Desinteresse einer Konsumgesellschaft zu rechnen. Die Veranstaltungen zum 500. Geburtstag Luthers wirkten deshalb oft wie Pflichtübungen oder Bildungsprogramme. Die innere Anteilnahme blieb gering. Eindrucksvoll war allerdings, was es noch an Substanz gab, der Staat wie Kirche bei dieser Gelegenheit Geltung verschaffen konnten.

Die Exponate des letzten Raums im Kloster Dalheim machen dann schlagartig den Unterschied zu heute klar. Dafür gibt es vor allem zwei Gründe: die Anpassung an die Eventkultur bei der Gestaltung des Jubiläums einerseits, andererseits die Scham des realexistierenden Protestantismus angesichts einer Tradition, die man eigentlich nicht mehr will. Die damit verbundenen Probleme können aber naturgemäß nicht Gegenstand einer Ausstellung sein, die die Geschichte des Luther-Gedenkens behandelt. Immerhin darf man die Playmobil- und Comic-Luther, die bunten give aways und theologisch aussagefreien Plakate der EKD als Hinweis darauf betrachten, daß dieses Reformationsjubiläum wohl das letzte sein wird, an dem die Öffentlichkeit Anteil nehmen dürfte.

Die Ausstellung „Luther. 1917 bis heute“ ist bis zum 12. November im Kloster Dalheim, Am Kloster 9, 33165 Lichtenau, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Der Katalog kostet 39 Euro. Er enthält neben den Exponaten auch ergänzende Ausführungen. 

 www.lwl.org