© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/17 / 17. März 2017

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

In Rußland kennt ihn jeder Kunstliebhaber, seine Bilder hängen in der Moskauer Tretjakow-Galerie und der Eremitage in Sankt Petersburg, doch in Westeuropa ist sein Name selbst Experten kaum bekannt. Das war zu Lebzeiten des Marinemalers Iwan Konstantinowitsch Aiwasowski (1817–1900) noch anders. Als erster russischer Künstler erhielt er den französischen Orden der Ehrenlegion, er stellte in Paris und Amsterdam aus, reiste nach Italien und England. Als William Turner ein Gemälde von Aiwasowski sah, widmete er dem jüngeren Kollegen einige euphorische Zeilen: „Deine Kunst ist groß und kraftvoll, weil ein Genius dich inspiriert.“ Heutzutage jedoch kommt Iwan Aiwasowski außerhalb Rußlands so gut wie nicht mehr vor. Die erste und einzige Einzelausstellung fand vor fünf Jahren in Wien statt. Das Bank Austria Kunstforum zeigte im Frühjahr 2011 eine Auswahl aus Aiwasowskis etwa 6.000 Bilder umfassendem Gesamtwerk. Leider ist das Katalogbuch aus dem Verlag Hatje Cantz seit langem restlos vergriffen. Doch dafür gibt es jetzt eine zudem auch noch preiswerte Alternative bei Frölich & Kaufmann. Der Onlinebuchhändler bietet den Prachtband „Iwan Aiwasowski und die Wasserlandschaft in der russischen Malerei“ zum Schnäppchenpreis von 9,95 Euro an. Er enthält etwa 120 farbige Abbildungen, dazu eine Einführung in ihre kunsthistorischen Entstehungsbedingungen und das Leben des Malers sowie schlaglichtartige Interpretationen einiger seiner wichtigsten Werke.


„Das erste Verdienst eines Bildes ist es, ein Fest für das Auge zu sein.“ (Eugène Delacroix, Journal, 22. Juni 1863)


Aiwasowskis Werk besticht durch seine realistische Naturdarstellung, vor allem die aufwühlenden Seestücke. Dabei entstanden seine Bilder weitgehend aus dem Gedächtnis. „Die Bewegungen der lebendigen Natur sind nicht mit dem Pinsel zu erfassen; einen Blitz, einen Windstoß, ein Aufplätschern des Wassers kann man nicht nach der Natur malen“, lautete seine Überzeugung. Deshalb müsse der Maler „dies alles im Gedächtnis behalten“. Dem auf der Krim geborenen russischen Maler armenischer Abstammung, der an der Petersburger Kunstakademie studierte, gelang das so überzeugend, daß einer Legende zufolge Besucher einer Ausstellung in Paris hinter den Bildern nach Lichtquellen gesucht haben sollen. Daß Iwan Aiwasowski in diesem Jahr nicht einmal anläßlich seines 200. Geburtstages eine Würdigung in der hiesigen Museumslandschaft erfährt, ist eine Schande.