© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/17 / 24. März 2017

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Kommt einem bekannt vor
Paul Rosen

Geschichte wiederholt sich nicht, heißt ein Sprichwort. Wer auf dem Berliner Parteitag der SPD dabei war, kann Zweifel bekommen, ob diese Weisheit immer stimmt. Denn die Show, die um den wie vom Himmel gefallen wirkenden Martin Schulz veranstaltet wurde, ließ Erinnerungen wach werden. 

„Das kenne ich längst“, sagt eine vertraute Stimme von hinten beim Spaziergang an der Spree unweit des Reichstages. Ein guter Bekannter, altgedienter Fraktionsmitarbeiter der Union, blättert in einem zerfransten Spiegel von 1998: „Hollywood an der Pleiße“ ist der Bericht über den SPD-Parteitag in Leipzig überschrieben.

Der Text schildert, wie Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine als Triumphatoren unter Fanfarenklängen und bei wechselnden Lichteffekten in die Leipziger Messehalle einmarschieren. Lafontaine war SPD-Vorsitzender, Schröder wurde in Leipzig zum Kanzlerkandidaten gekürt und gewann die Wahl im Herbst gegen Helmut Kohl deutlich. „Die Lage ist der heutigen nicht unähnlich“, sagt der Mann.  „Die Leute waren Kohl leid, heute sind sie von Merkel genervt.“ 

Es gibt ein Grundrauschen, aus dem eine Wechselstimmung werden kann. Das beflügelte die SPD, ihren Sonderparteitag mit der Wahl von Schulz zum SPD-Chef als Krönungsmesse zu inszenieren. Hundert Prozent für Schulz, das hatte es noch nie gegeben in der Parteigeschichte. Und wie in Leipzig zehn Minuten triumphaler Einmarsch – diesmal aber von Schulz und Sigmar Gabriel. „Der Applaus will nicht enden, die Musik klingt heroisch, die Augen der Sozialdemokraten leuchten“, berichtet die FAZ. 

Schulz redet sich in Rage, ja er wirkt wie berauscht von den eigenen Worten, unter denen Gerechtigkeit besonders häufig vorkommt. Martin Schulz, der Einstimmige, ist eine rote Dampframme, die nur eine Richtung kennt: vorwärts zum Kanzleramt. Die SPD kann bei drei Landtagswahlen im Saarland sowie in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen zeigen, ob der „Schulz-Effekt“ mehr als ein Medien-Hype ist. 

Und Gabriel? Der lächelt zufrieden. Die Delegierten, die jetzt Schulz mit hundert Prozent bedachten, hatten 2015 Gabriel mit nur 74 Prozent faktisch zum Gehen aufgefordert. Der Aufforderung kam Gabriel nach, nachdem er das Haus geordnet hatte. Er sorgte dafür, daß Frank-Walter Steinmeier Bundespräsident wurde, holte Schulz von Brüssel nach Berlin. „Ich glaube, daß ich mit dieser Entscheidung und diesem Vorschlag der SPD am besten diene“, sagte Gabriel, der in seiner Amtszeit viele Niederlagen ertragen mußte, aber jetzt vielleicht die Weichen für die Eroberung des Kanzleramts gestellt hat. Einsicht und Selbstkritik sind bei Gabriel noch zu finden, Schulz ist frei von jedem Selbstzweifel. 

In der CDU wächst die Nervosität. Kanzlerin Angela Merkel holt angeblich Joachim Koschnicke als Krisenmanager zurück in die CDU-Zentrale, wo er der Chefin schon einige Jahre treu gedient hatte. „Den kenne ich“, sagt der Fraktionsmitarbeiter und lacht: „Koschnicke  sollte damals Jürgen Rüttgers in Nord-rhein-Westfalen vor Hannelore Krafts SPD retten. Hat er total vergeigt.“