© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/17 / 24. März 2017

Ex-Karatekämpfer Borissov will es noch einmal wissen
Vorgezogene Parlamentswahl in Bulgarien: Erwartet wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Rechtsbürgerlichen und Sozialisten
Michael Link

Die Bulgaren haben am kommenden Sonntag die große Auswahl zwischen 13 Parteien, neun Koalitionen und 21 Initiativkomitees.

Vier Monate nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Bojko Borissow will es der ehemalige Karate-Kämpfer  noch einmal wissen. Doch konnte die von ihm 2006 gegründete rechtsbürgerliche Bewegung „Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens“ (Gerb) bei den Parlamentswahlen 2014 noch ihren Status als stimmenstärkste Partei klar verteidigen, scheint dies den aktuellen Wahlprognosen zufolge eher ungewiß. Demnach rechnet das Meinungsforschungsinstitut Exacta für die Parlamentswahlen mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Gerb und der Sozialistischen Partei (BSP) unter der Führung von Kornelia Ninova. Den Prognosen des Instituts zufolge würde Gerb 26 Prozent der Stimmen erhalten. Dies wären um die sechs Prozent weniger als vor drei Jahren. Nur einen Prozentpunkt dahinter sehen die Meinungsforscher die BSP, welche 2014 als zweitstärkste Partei in die Opposition gegangen war. Auch den anderen Oppositionsparteien, der türkischen Minderheitenpartei DPS sowie der Patriotischen Front (PF) werden gute Chancen auf einen deutlichen Stimmenzuwachs eingeräumt.

Der Rücktritt Borissows infolge des Wahlsieges des rußlandfreundlichen Ex-Generals Rumen Radew bei der Präsidentschaftswahl im November hatte den Weg zu Neuwahlen geebnet. Als eine Abwendung des Landes von dem proeuropäischen Kurs der vergangenen Jahre und somit als eine schwere politische Niederlage der Regierung wurde der deutliche Sieg des sozialistischen Kandidaten Radew gegen die Gerb-Kandidatin Tsetska Tsacheva gewertet. 

Borissow stand bis dato an der Spitze einer von der PF unterstützten Mitte-Rechts-Koalition aus Gerb, dem Reformblock (RB) und der Alternative für die Bulgarische Wiedergeburt (ABW). Nach dessen Rücktritt war jedoch keine der Parteien bereit, ohne neue Parlamentswahlen eine neue Regierung zu bilden. Erst im Januar wurde Ognjan Gerdschikow, ehemaliger Präsident der Nationalversammlung, zum interimistischen Regierungschef bestellt.

Der BSP-Abgeordneten Elena Yoncheva scheint Borissows Rücktritt als Ministerpräsident allerdings nicht genug. Yoncheva fordert sein gänzliches Ausscheiden aus der Politik und droht zudem mit einer Klage gegen Borissow. Dieser hatte Yoncheva beschuldigt, hohe Geldbeträge für Interviews und die Berichterstattung über die Regierung verlangt zu haben. 

Borissow reagierte damit auf Yonchevas Vorwurf, die Regierung habe finanzielle Mittel zweckentfremdet. Konkret ging es um ein Programm zugunsten der Energieeffizienz von Mehrfamilienhäusern.

Neben der Förderung von Familien waren die Verbesserung des Bildungssystems und eine Erhöhung der Löhne  zentrale Forderungen der werbenden Parteien, Koalitionen und Initiativkomitees. Mit durchschnittlich 500 Euro liegt das Einkommen in Bulgarien weit unter dem EU-Durchschnitt. Eine Abwanderung vor allem junger Menschen ins Ausland sowie die in Unternehmen wie auch in staatlichen Einrichtungen grassierende Korruption zählen zu den größten Problemen. Laut einer Studie des Zentrums zur Erforschung der Demokratie in Sofia liegt die Korruption in Bulgarien auf einem Niveau, das sich mit jenen der EU-Beitrittskandidaten Albanien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien vergleichen läßt.