© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/17 / 24. März 2017

Knapp daneben
Lebenszeitverschwendung
Karl Heinzen

Aufwendig produzierte Fernsehserien mit anspruchsvollen Drehbüchern haben Kinofilmen in der Publikumsgunst den Rang abgelaufen. Der Boom lockt immer neue Angebote auf den Markt. Allein in den USA wurden 2016 455 Neuerscheinungen gezählt. Sechs Jahre zuvor waren es gerade einmal halb so viele. 

Viele Zuschauer klagen, daß sie der Flut an Sehenswertem nicht mehr Herr weüden. Oft müßten sie ihre gesamte Freizeit investieren, um sich bei einer wachsenden Zahl von Serien, denen sie folgen, von einer Staffel zur nächsten vorzuarbeiten. Viel Muße, in eine weitere hineinzuschauen, bleibt da nicht mehr. Zu groß ist die Gefahr, auch ihr zu verfallen und die Belastung damit noch zu erhöhen. Eine Lösung des Problems könnte sein, die Serien mit höherem Abspieltempo anzuschauen.

Zahlreiche Amerikaner haben mit „Speed-Watching“ bereits positive Erfahrungen gesammelt, und auch bei uns ist diese effiziente Form der Mediennutzung auf dem Vormarsch. Experten meinen, daß eine doppelte Abspielgeschwindigkeit eigentlich für jeden möglich sein müßte, mit ein bißchen Übung dürfte man sogar deutlich darüber hinauskommen.

Was ursprünglich der Unterhaltung und Entspannung dienen sollte, ist damit zur Streßquelle geworden.

Noch ist unklar, wie die Serienproduzenten auf diesen Trend reagieren werden. Zu befürchten ist, daß sie ihre Geschichten langatmiger inszenieren, um zusätzliche Folgen herauszuschlagen. Dabei läge es in ihrem eigenen Interesse, die Handlung so zu straffen und zu beschleunigen, daß Speed-Watching überflüssig wird, ließen sich auf diese Weise doch Produktionskosten senken und Zuschauer mit knappem Zeitbudget halten.

Allzu große Hoffnung auf einen Siegeszug der ökonomischen Vernunft dürfen wir uns aber nicht machen. Fernsehserien gibt es seit weniger als 80 Jahren. Bücher hingegen wurden schon vor Jahrtausenden geschrieben. Haben Autoren seither etwa gelernt, sich kurz zu fassen? Zahllose Menschen haben unersetzliche Lebenszeit an die Lektüre weitschweifiger Wälzer verschwendet. Wie weit könnte unsere Zivilisation gekommen sein, hätten sie statt dessen etwas Sinnvolles gemacht.