© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/17 / 24. März 2017

Bald wird es richtig ungemütlich
Im politischen Vermächtnis des Kulturphilosophen Rolf Peter Sieferle wird der Untergang der europäischen Kultur als unvermeidlich prophezeit
Thorsten Hinz

Fast genau ein Jahr liegt zwischen Merkels Entscheidung vom September 2015, die Grenze für Einwanderer aus der Dritten Welt zu öffnen, und dem Freitod des Universalhistorikers und Kulturphilosophen Rolf Peter Sieferle am 17. September 2016. So spekulativ es auch ist, einen Zusammenhang zwischen der schmerzlichen Einsicht in die politische Lage und einer finalen persönlichen Entscheidung herzustellen, fällt an den nachgelassenen Texten Sieferles doch auf, wie wenig Platz er für sich in jener Welt sah, die im Entstehen begriffen ist. Zwei Bücher sind nun postum von ihm erschienen: „Das Migrationsproblem“, ein wissenschaftlich-analytisches Werk, das sich mit dem Exitus des Sozial- und Rechtsstaats durch die Masseneinwanderung beschäftigt, sowie „Finis Germania“, ein kleines Kompendium aphoristisch zugespitzter Notate, Reflexionen und Betrachtungen zur Zeit. Beide gehören innerlich zusammen und ergänzen sich.
Sieferle verweist darauf, daß der Sozialstaat ein Kind des Nationalstaats ist und „auf Solidarität und Vertrauen innerhalb eines politisch begrenzten, genau definierten Raumes“ beruht. Außerdem seien Deutschland und Europa nicht eigentlich „reich“, vielmehr beruhe ihr Wohlstand auf einer besonderen Leistungsfähigkeit. Zu ihren Voraussetzungen gehörten funktionsfähige Institutionen und ein Basisvertrauen, das über lange Zeiträume gewachsen ist. Diese Voraussetzungen würden aufgegeben, „wenn aggressive, ansonsten aber inkompetente Barbaren“ einwandern. Sieferle hielt die Entwicklung bereits für so weit fortgeschritten, „daß der Untergang Europas, das heißt seine Islamisierung bzw. Afrikanisierung wahrscheinlich unvermeidlich ist“.
Die Unfähigkeit und Unlust, das Offensichtliche wahrzunehmen und das Handeln darauf auszurichten, führen zur Selbstzerstörung. Sieferle legt ihre Elemente und Motivstruktur offen, indem er das Migrationsproblem zum Ausgangspunkt für eine knappe, aber ausgreifende Gesellschaftsanalyse und einen Querschnitt durch unsere kranke Kultur nimmt.
Es beginnt bei den falschen Begrifflichkeiten und Problemstellungen, etwa bei der Behauptung, Europa könne und dürfe sich vor neuen Wanderungsströmen nur dadurch schützen, indem es die Fluchtursachen vor Ort bekämpfe, so durch milliardenschwere Entwicklungsprogramme.
Zum einen bleibt die Bevölkerungsexplosion in Afrika dabei außer Betracht. Und im Erfolgsfall führt die Entwicklungshilfe zu neuen Erwartungen und Enttäuschungen, weil sie Gewinner und Verlierer und damit neue soziale Unterschiede produziert. Es ist also nicht die absolute, sondern die relative Armut, die Afrikaner nach Europa treibt. Die Konflikte um bessere Lebenschancen werden entlang der tribalen, der Stammesgrenzen, ausgetragen, und münden in Bürgerkriege. Deshalb sind Kriegs- von Wirtschaftsflüchtlingen nicht eindeutig zu unterscheiden und können die Probleme Afrikas weder durch europäisches Asylrecht noch durch Geld gelöst werden.
Solche Fragen öffentlich aufzuwerfen, würde umgehend zum Vorwurf der „Menschenfeindlichkeit“ und des Rassismus führen, der falschen, dafür umso stärkeren Überzeugungen entspringt. Den Zugang zur politischen Rationalität sieht Sieferle bei den Deutschen durch den zivilreligiös ausgeformten Antifaschismus versperrt. Sie haben ihre Zuschreibung als „Tätervolk“ verinnerlicht und meinen den Nationalsozialismus abzubüßen, indem sie es Migranten gleich welcher Herkunft erlauben, in Deutschland ihre „Menschenrechte“ einzuklagen. „Die Menschen sprengen sich für Allah in die Luft – warum sollen sie dann nicht ihre Gesellschaft für die Menschenrechte zerstören?“
Diese Neigung läßt sich allerdings auch in anderen westlichen Ländern wie Schweden oder Frankreich beobachten, weshalb der Verweis auf die NS-Zeit in dieser Ausschließlichkeit nicht überzeugt. An anderen Stellen konstatiert der Autor denn auch, daß ganz Europa im Begriff ist, als geschichtliches Subjekt zu verschwinden, weil seine geistigen, ästhetischen, historischen Bestände vom Sog des Relativismus verschlungen werden. Seine letzte Funktion bestünde darin, anderen Kulturen und Staaten – etwa den Aufsteigern in Fernost – als warnendes Beispiel zu dienen.
Wenn die Kraft zum Selbsterhalt nicht mehr ausreicht, wenden die letzten Energien sich nach innen. „Nachdem das Aas des Leviathan verzehrt ist, gehen die Würmer einander an den Kragen.“ Für den daran Leidenden kann „Ernst Jünger als Erzieher“ dienen. Das heißt, er muß alle normativen Vorstellungen aufgeben und sämtliche Hoffnungen, Kränkungen und Aufgeregtheiten zugunsten eines „konsequenten Nihilismus“ abstreifen. Dann kann er die Würmerwelt mit „interesselosem Wohlgefallen“ betrachten und ihm eröffnet sich das „Tableau einer neuen Ordnung“ als „letzte und radikalste Form des Erhabenen“.
Wer solche Sätze schreibt, verknüpft mit den Weltläuften keinerlei Erwartungen mehr. Der kann in seinen Texten alle Rücksichten fallenlassen, weil für ihn die Gegenwart erledigt und ihm zu einer erbärmlichen Vergangenheit geronnen ist. Eben das macht Rolf Peter Sieferles letzte Bücher so erschütternd und besonders!
Rolf Peter Sieferle: Das Migrationsproblem. Über die Unvereinbarkeit von Sozialstaat und Masseneinwanderung. Manuscriptum Verlag, Waltrop 2017, broschiert, 136 Seiten, 16 Euro
Rolf Peter Sieferle: Finis Germania. Verlag Antaios, Schnellroda 2017, gebunden, 104 Seiten, 8,50 Euro