© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/17 / 31. März 2017

Durch den Türspion schauen
Angst vor Inhaftierung: Der dissidente russische Autor Babtschenko hat sich in Prag niedergelassen
Richard Stoltz

Man soll sich über schlimme Verhältnisse nicht leichtfertig amüsieren, lautet eine journalistische Grundregel. Aber manchmal fällt die Einhaltung dieses Gebots doch ziemlich schwer, so zum Beispiel jüngsthin, als der russische Schriftsteller Arkadi Babtschenko (40) nach seiner Emigration in die Tschechei dem Prager „Radio Svoboda“ ein Interview gab.

Babtschenko hatte seinerzeit als einfacher Soldat am sogenannten Ersten Tschetschenienkrieg teilgenommen und schrieb 2005 ein kritisches Buch darüber. Seitdem fühlte er sich von Putin bedroht und emigrierte nun also in die Tschechei. Eine „richtige“ Emigration wollte er seinen Ortswechsel freilich nicht nennen; er habe sich, erklärte er dem Sender, „für eine unbestimmte Zeit in Prag niedergelassen“.

„Als Dissident in Rußland lebt man in ständiger Erwartung“, erklärte er dem staunenden Interviewer.  „Sobald man den Aufzug gehen hört, läuft man zum Türspion und guckt, ob sie einen holen kommen  (…) Dabei ist das In-Umlauf-Setzen von Inhaftierungsgeschichten inzwischen die generelle Methode des Regimes, unliebsame Kritiker loszuwerden. Sie konzentrieren sich nicht auf Inhaftierung und Repression, denn was würde ihnen das bringen? Internationale Aufmerksamkeit, Menschenrechte und so weiter, und dann heißt es wieder in der BBC und in Radio Svoboda, wie schlimm sie sind (…) Eigentlich geht es ihnen nicht ums Einsperren, sondern darum, die Leute zu vertreiben, sie gehen zu lassen.“

Ein deprimierendes Stück Prosa! Eigentlich gilt auch im politischen Leben bei der Gewährung beziehungsweise Wahrnehmung von Freiheitsrechten die Halbvoll-Halbleer-Perspektive. „Gehen lassen“  war immer besser als Einsperren und Foltern. Für Leute wie Babtschenko aber bleibt der Topf immer voll, was auch passiert. Soll man darüber lachen? Es wäre auf jeden Fall ein ärgerliches Lachen. Richtige Dissidenten sollten ernsthafter sprechen.