© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/17 / 31. März 2017

Gefriertruhe für ein Linsengericht
Alaska kommt zu den USA: Vor 150 Jahren verkaufte das Zarenreich seine Kolonie „Russisch-Amerika“
Jan von Flocken

Das winzige Städtchen Sitka auf dem Alexander-Archipel erlebte am 18. Oktober 1867 eine historische Stunde. Im Hauptort der Kolonie „Russisch-Amerika“ hielten vor dem Haus des Gouverneurs US-Truppen eine Parade ab. Dann wurde Rußlands Flagge eingeholt und unter Salutschüssen das Sternenbanner gehißt. Der russische Marineoffizier Alexej Peschtschurow verkündete: „Im Namen Seiner Kaiserlichen Majestät, des Zaren von Rußland, übergebe ich das Territorium von Alaska an die Vereinigten Staaten.“ US-General Lovell H. Rousseau nahm das Gebiet offiziell in Besitz.

Angst vor Begehrlichkeiten der USA oder Englands

Der Wechsel dieses gut 1,6 Millionen Quadratkilometer großen Areals war das Resultat einer erstaunlichen Verkaufsaktion. Alaska wurde 1648 erstmals von russischen Kosaken unter Semjon Deschnjow betreten. Ab 1740 fand eine dünne Besiedelung statt. 1867 zählte „Russisch-Amerika“ kaum 10.000 Einwohner. Als einziger Reichtum des riesigen Areals galten Pelztiere, insbesondere Seeotter und Polarfüchse. Doch Mitte des 19. Jahrhunderts waren diese Tiere nahezu ausgerottet.

Rußlands Außenminister Fürst Alexander Gortschakow verlor zunehmend das Interesse an Alaska, zumal sein Land durch den Krimkrieg (1853 bis 1856) enorme finanzielle Verluste erlitten hatte. Großfürst Konstantin, ein jüngerer Bruder des Zaren, hatte Gortschakow in einem Memorandum versichert: „Wir müssen vorhersehen, daß die USA, welche stets bestrebt sind, ihren Besitzstand abzurunden und die ungeteilte Vorherrschaft in Nordamerika zu erlangen, uns diese Kolonie mit Gewalt entreißen werden und wir das Land nie wiederbekommen können.“ Also sei ein Verkauf die bessere Lösung. Auch Zar Alexander II. schloß sich an und schrieb: „Diese Idee ist eine Überlegung wert.“

Daraufhin wies Gortschakow 1866 den russischen Botschafter in den USA Eduard von Stoeckl an, beim Außenministerium in Washington vorzufühlen, ob dort ein Interesse an dem Gebiet zwischen Kap Barrow und der Dixon-Straße bestünde. Stoeckl betonte seinerseits, die russische Regierung könne durch den Verkaufserlös ihre gewaltigen Rohstoffvorkommen in Sibirien, speziell im Gebiet um den Fluß Amur, besser ausbeuten. Strategisch argumentierte er, Rußland werde durch die Abtretung Alaskas möglichen Streitereien mit Washington aus dem Weg gehen.

Auch die USA hatten einen kostspieligen Konflikt, den Sezessionskrieg (1861 bis 1865), gerade hinter sich. Die Geldmittel waren knapp. Doch Außenminister William H. Seward wollte Europa gegenüber die Vormachtstellung seines Landes auf dem amerikanischen Kontinent demonstrieren. Außerdem hegten sowohl Rußland als auch die USA Befürchtungen, die gierige Kolonialmacht Großbritannien könne sich in Alaska, das an sein Besitztum Kanada grenzte, dauerhaft festsetzen.

US-Presse höhnte zuerst über den Kauf Alaskas

Baron Stoeckl sondierte erfolgreich im US-Außenministerium. Nicht ganz uneigennützig, denn für einen erfolgreichen Abschluß des Geschäfts winkte ihm vom Zaren eine hohe Geldprämie von 25.000 Goldrubel. Nach einem fast 24stündigen Verhandlungsmarathon wurde am Morgen des 30. März 1867 der „Alaska Purchase“ von beiden Seiten unterzeichnet. Gegen eine Summe von 7,2 Millionen US-Dollar (heute ein hoher dreistelliger Millionenbetrag) ging Alaska in das Eigentum der Vereinigten Staaten von Amerika über.

Der US-Senat zeigte sich zunächst wenig begeistert und debattierte mehr als eine Woche lang über die Annahme des Vertrages. William Seward, der im Kabinett von Präsident Andrew Johnson eine Schlüsselfunktion bekleidete, gelang es, dank seiner nachgerade hypnotisch wirkenden Beredsamkeit, ein zustimmendes Votum zu erzielen. „Bald schon“, so behauptete er, „werden unerschrockene Seefahrer, bereit zu kommerziellen oder patriotischen Wagnissen, zu dieser Küste strömen. Der Handel wird neue Impulse erhalten.“ Der Außenminister schwärmte von den Schätzen des Landes, darunter tonnenweise Fisch und Goldklumpen, ja sogar von „wunderschönem Elfenbein“, ohne zu erklären, wo die dazugehörigen Elefanten herstammen sollten. Am 9. April 1867 wurde der Alaska-Vertrag schließlich mit 37 zu 2 Stimmen vom Senat abgesegnet und später vom Repräsentantenhaus auch die Kaufsumme bewilligt.

In der Öffentlichkeit gab es dafür wenig Beifall. Man spottete über „Seward’s Icebox“ (Sewards Gefriertruhe), und die einflußreiche Zeitung New York World klagte, mit Alaska habe man „eine ausgelutschte Orange“ erworben. Diese kritischen Stimmen verstummten spätestens, als in der Mitte der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts der Goldreichtum des Landes entdeckt wurde und ein großer Zustrom von Einwanderern begann. Genau 101 Jahre nach dem Kauf stießen Wissenschaftler auf die riesigen Erdölfelder bei Prudhoe Bay im Norden Alaskas. Anfang 1959 wurde das im Kalten Krieg mittlerweile auch geostrategische Bedeutsamkeit erlangende Territorium als 49. Bundesstaat in die Vereinigten Staaten aufgenommen. Heute belegt der mit gut 700.000 Einwohnern immer noch dünn besiedelte Teil der USA, gemessen am Brutto-Inlandsprodukt, den sechsten Platz unter 50 Bundesstaaten.