© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/17 / 31. März 2017

Frisch gepresst

Weltverlorenheit. Bis ins 19. Jahrhundert hätten Dichter und Denker davon geträumt, der Mensch könne mehr sein als der Affe seiner Bedürfnisse. Denn die gesamte europäische Kultur gehorchte bis dahin dem Ideal des „höheren Menschentums“. Stattdessen brachte die globalisierte Industrialisierung eine „höhere Barbarei“, die die Massen ihrer „geistigen Bestimmung“ entzogen und sie zum „Leben im Falschen“ verurteilt habe, während der in platonischer Manier am „Leben im Wahren“ orientierte Intellektuelle „authentisches Dasein“ nur jenseits der „komplett durchdigitalisierten Weltökumene“ finden könne. Mit solchen Betrachtungen schwimmt Frank Lissons Großessay „Weltverlorenheit“ im breiten Strom einer Modernekritik, wie er von den Romantikern bis zu Heidegger und Marcuse reicht. Originell ist der „freie Philosoph aus Thüringen“ im Vergleich mit seinen großen Vorläufern insoweit, wie er deren düsteren geschichtsphilosophischen Pessimismus zuspitzt. Geht Lisson doch davon aus, daß „die meisten Menschen ihrer Natur nach“ keinen Sinn dafür hätten, den alten Adam in sich zu überwinden, um sich zum „Geistmenschen“ zu entwickeln. Und dessen letzte Reservate dürfte die Bevölkerungsexplosion planieren, so daß nichts mehr stört, wenn die Menschheit unaufhaltsam einer Globalzivilisation entgegensteuert, die den Homo sapiens auf seine „tierischen Grundanlagen zurückmanipuliert“. (wm)

Frank Lisson: Weltverlorenheit. Über das Wahre im Wirklichen. Karolinger Verlag, Wien 2016, broschiert, 262 Seiten, 24 Euro





USA. Mit seinem kleinen Exkurs über Politik und Geschichte jenseits des großen Teichs könnte der in Washington D.C. lebende Journalist und Wissenschaftskorrespondent Ronald D. Gerste ein klein wenig das Weltbild vieler irritierter hiesiger „Kosmopoliten“ korrigieren, die Amerika momentan gerade nicht verstehen. Denn spätestens Donald Trump hat viele, die ihr US-Weltbild weitgehend aus den Verlautbarungen von Hollywoods Oscar-Verleihungen oder der New York Times schöpfen, nachhaltig vor den Kopf gestoßen. Gerste beschreibt nüchtern, warum Trump vielleicht außergewöhnlich, aber irgendwie auch typisch für Amerika ist: Die USA unterscheiden sich eben doch mehr von der Bundesrepublik als nur über das Tastaturfeld mit Qwertz und Qwerty. (bä)

Ronald D. Gerste: Amerika verstehen. Geschichte, Politik und Kultur der USA. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2017, broschiert, 208 Seiten, 9,95 Euro