© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/17 / 07. April 2017

Pankraz,
A. Kieling und die Helden des Tierfilms

An sich“, sagte ein mürrischer Freund zu Pankraz, „gibt es hierzulande nur noch zwei ansehenswerte und erträgliche TV-Formate: große Fußballspiele und Tierfilme.“ Was letztere betrifft, so schwärmte er vor allem von den Produktionen Andreas Kielings

im ZDF, Filmen wie „Mitten im wilden Deutschland“ oder „Mitten in Südafrika“ beispielsweise. Kieling, so der hyperkritische Freund, sei der Bernhard  Grzimek unserer Tage, bei ihm würden sich inneres Anliegen („Herzensbetroffenheit“) und sachliche Darstellungskraft („genaues Hinschauen“) auf unübertreffliche Weise miteinander verbinden.

Pankraz seinerseits findet die gewissermaßen persönliche Art, mit der sich Kieling (samt eigener Frau und eigenen  Kindern) den Tieren nähert, sich mit ihnen gleichsam gemein macht, zwar ebenfalls faszinierend, hegt aber gewisse Zweifel, ob damit ein Optimum an Sachlichkeit und Realismus erreicht werden kann. Tierfilme sind Bestandteil der Verhaltensforschung und unterliegen ganz speziellen Notwendigkeiten. Sie dürfen nicht einmal im Ansatz sentimentale Spielfilme sein; der ihnen zukommende künstlerische Status ist vielmehr knochentrockene Dokumentation, nichts anderes. 

Es geht bei ihnen vorrangig nicht um Annäherung, sondern um Distanz. Die Tiere müssen, um ihr natürliches Verhalten preiszugeben, bei den Aufnahmen völlig ungestört bleiben, was den Filmemachern größte Behutsamkeit und den Einsatz einer Menge raffiniertester Technik abverlangt. Pankraz sagt es ungern, doch es bleibt trotzdem wahr: Die große Beliebtheit, der sich die neuen Tierfilme beim Publikum erfreuen, ergibt sich primär aus der Besichtigung der vielen witzigen Tricks, die die Tierfilmer sich ausdenken, um selber in Deckung zu bleiben und die Tiere nicht im mindesten zu stören.


Längst gehört das mit Buschwerk gut getarnte Aufnahmezelt mit dem geduldigen menschlichen Filmer hinter der lauernden Kamera der Vergangenheit an. An seine Stelle ist der digitale Foto-Automat gerückt, welcher offen und duftlos direkt am Rand vielbegangener Tierpfade liegt und ununterbrochen Bilder, Töne und Gerüche aufnimmt, auch in dunkelster Nacht noch, die er per Infrarot zum hellsten Tag macht. Die Tiere beschnüffeln ihn und stupsen ihn herum, bis sie sich vergewissert haben, daß er völlig ungefährlich ist und man nicht einmal mit ihm spielen kann. Sie verlieren jegliches Interesse und wenden sich ab.

Der Tierfilmer sitzt inzwischen in einem Büro am Computer und registriert, was ihm der Automat an Daten liefert. Er ist „nur“ noch Textverfasser und Dramaturg, schneidet die Bilder zusammen und ergänzt sie durch Zusatzbilder, die zeigen, was er selbst und seine Mitarbeiter alles getan haben, um die Tiere „genau so, wie sie sind“, erscheinen zu lassen. Aber er ist durchaus stolz auf seinen Beruf und hat seine Prinzipien.  

Natürlich, er ist ein Unterhaltungskünstler, wie er im Buche steht, erschafft Filme, die im Fernsehen höchste Einschaltquoten erzielen. Doch von Anfang an war es sein Anliegen (und das seiner Kollegen), vor allem als Wissenschaftler wahrgenommen und anerkannt zu werden. Schon David Attenborough, langjähriger „Tieronkel“ und vielfach preisgekrönter Filmemacher bei der Londoner BBC, polterte einst aus gegebenem Anlaß: „Ich bin doch kein Märchenerzähler, der Schnulzen wie Flipper, Pferdeflüsterer oder Free Willy auf den Markt wirft. Tierfilmer oder Märchenerzähler – da muß die BBC unterscheiden lernen.“

Muß sie es aber wirklich? Gewiß, faktisch sämtliche prominenten Tierfilmer haben sich bisher auf die Seite von Attenborough gestellt, gerade in Deutschland. Eugen Schuhmacher oder Heinz Sielmann wandten sich in ihren legendären Filmen, durchweg Kassenknüllern, mit größter Konsequenz gegen jede Art von „Vermenschlichung“ wildlebender Tiere mittels sentimentaler Annäherungsversuche. Es wimmelte bei ihnen geradezu von Tricks und Dramaturgien zur Herstellung von Distanz. Hier, spürt der Zuschauer sofort, sind überzeugte Wissenschaftler unterwegs, die Wunsch und Wirklichkeit niemals verwechseln.


Inzwischen ist freilich viel Zeit vergangen, immer mehr Menschen fühlen sich durch die umfassende Digitalisierung und Mechanisierung der Gesellschaft von sich selber und ihresgleichen entfremdet und suchen leidenschaftlich Gefühlsanschluß an Tiere, Hunde, Katzen, Singvögel … Die Grenzen zwischen Haustier und Wildtier verwischen sich, viele  neuartige Zwischen-Institute tun sich auf: Heime zur Aufnahme von gefährdeten Arten oder Einzelexemplaren, Gehege zur„Auswilderung“ bisher in Menschenobhut aufgewachsener Affen oder Wölfe.

„Tiere können denken“, lautet das Urteil vieler heutiger Biologen. „Und sie können auch fühlen wie wir“, fügt der aktuelle Volksmund hinzu. Beträchtliche Summen für die Rettung vom Aussterben bedrohter Arten stehen in vielen Ländern zu Verfügung. Es gibt hier und da heilkräftige Badeanstalten  für körperlich und seelisch behinderte Kinder, wo gutgelaunte Delphine die Kleinen und ihre Mütter umschwänzeln, um mit ihnen zu spielen und sich von ihnen streicheln zu lassen. In ein solches Klima paßt dann auch der Erfolg von Tierfilmern wie dem eingangs erwähnten Andreas Kieling.

Der Mann fühlt sich übrigens tatsächlich nicht als Wissenschaftler, jedenfalls nicht als „moderner“ Wissenschaftler, der nur noch Mehrheiten zählt, die ihm die Algorithmen liefern.  Kieling mißtraut aber auch seinem derzeitigen Erfolg als TV-Star, bei allem Respekt vor dem Publikum. Die Tiere werden leider nichts davon haben, meint er achselzuckend.

„Wir müssen bald acht bis zehn Milliarden Menschen ernähren“, zitierte ihn kürzlich das Wiener Politmagazin Zur Zeit. „Es wird neue, vor allem genmanipulierte Getreidesorten geben. Die Felder werden noch größer als bisher“, so Kieling. „Anpassungsfähige Tiere mit hohen Reproduktionsraten überstehen das wohl. Sehr sensible Arten werden sich auf die letzten verbliebenen Archen zurückziehen oder aussterben.“