© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/17 / 07. April 2017

Auf eigene Faust
Krimi: Arne Jysch hat Volker Kutschers ersten Bestseller „Der nasse Fisch“ in Bilder umgesetzt
Karlheinz Weißmann

Nasser Fisch“ war einmal im Polizeijargon die Bezeichnung für einen ungelösten Fall. Und „Nasser Fisch“ lieferte auch den Titel für den ersten Band der Gereon-Rath-Reihe, die seit 2007 bei Kiepenheuer & Witsch erscheint. Es handelt sich um die gegenwärtig erfolgreichsten Kriminalromane Deutschlands. Sie stammen aus der Feder Volker Kutschers (JF 21/15), und in ihrem Mittelpunkt steht der Ermittler Gereon Rath. Zuletzt klärte der junge Kommissar in „Lunapark“ Morde an SA-Männern auf, die sich kurz vor der sogenannten Niederschlagung des Röhm-Putsches 1934 ereignen, während „Der nasse Fisch“ Ende der zwanziger Jahre ansetzt.

Die Popularität der Bücher Kutschers erklärt sich nur zu einem Teil aus dem Interesse an gehobener Kriminalliteratur, zum anderen aus der gekonnten Rückversetzung des Lesers in die Geschichte. Selbst wer den manchmal etwas bizarren Fällen weniger abgewinnen kann, die Rath zu lösen hat, dürfte fasziniert sein von der Art und Weise, in der Kutscher detailreich und überraschend eine turbulente Vergangenheit erstehen läßt. Wem auch das als Wiedergabe nicht genügt, der kann jetzt zumindest den optischen Eindruck verstärken, indem er zu Arne Jyschs Adaption von „Der nasse Fisch“ als „Graphic Novel“ greift.

Jysch (Jahrgang 1973), der auch als Drehbuchautor arbeitet und einen Kurzfilm produzierte, ist bisher nur durch eine Veröffentlichung dieser Art bekannt geworden: „Wave and Smile“, die 2012 erschienene Geschichte eines Bundeswehrsoldaten im Afghanistaneinsatz. Wenn er sich jetzt erneut dem Genre Graphic Novel zuwendet, dann sicher, weil er in ihm mehr sieht als die Möglichkeit, „Comics für Erwachsene“ zu machen.

Denn anders als die bunten Heftchen, die seit gut einhundert Jahren zur modernen Massenkultur gehören, meistens in Serie, etwa wochenweise erscheinen, ist die Graphic Novel kein Produkt für den alsbaldigen Verbrauch. Es geht deshalb auch nicht darum, eine literarische Vorlage wie Kutschers Roman soweit zu vereinfachen und zu verdünnen, daß sie auf unterhaltsame Weise an das Kind gebracht wird. Die Ambitionen reichen deutlich über solche Zielsetzung hinaus. Und das gilt, obwohl die Handlungsabläufe der Vorlage zwangsläufig verknappt und vereinfacht werden müssen.

Die Graphic Novel ist ein Roman in Bildern, und der nutzt die Ausdrucksmittel des Comics, bis hin zur Sprechblase, aber die Gestaltung ist freier, die Art der Illustration regelmäßig regelwidrig und anspruchsvoller als in einem gewöhnlichen Comic. Man kann das deutlich an Jyschs Umsetzung von „Der nasse Fisch“ ablesen, die auf alle Farbe verzichtet und nur mit Schwarz, Weiß und Grautönen arbeitet. Das kommt unseren Sehgewohnheiten insofern entgegen, als wir aus der Zeit, die hier behandelt wird, keine Farbaufnahmen kennen.

Andererseits wirkt die Darstellung gegenüber jenen Möglichkeiten bewußt reduziert, die moderne Rekonstruktionstechniken bieten. Jysch beläßt der Vergangenheit ihr Vergangen-Sein, ohne daß die Vorgänge dadurch ganz ferngerückt oder unverständlich würden. Deren Schilderung hält sich in den großen Linien an Kutschers Vorgabe, kürzt aber und verändert sogar Abläufe, verzichtet auf die bei Kutscher so reizvollen Anspielungen, nimmt Personen und Handlungsstränge weg und variiert andere (was Kutscher offenbar anstandslos akzeptiert hat).

Aber auch bei Jysch beginnt alles mit Raths Versetzung von Köln nach Berlin. Die Hintergründe bleiben im Dunkel, nur eine schwere Traumatisierung wird angedeutet. Das erste Bild zeigt seitenfüllend den Brief, den Raths Vater – ein hoher Polizeibeamter in Köln – an den „lieben Karl“ – gemeint ist der Berliner Polizeipräsident Karl Zörgiebel, der ebenso wie Ernst Gennat und andere Figuren der Bücher der realen Historie entstammt – schreibt, um den Sohn anzukündigen und behutsam um Protektion zu bitten.

Was dann folgt, sind all die Details, die den Charakter Raths plastisch werden lassen: das schwierige Verhältnis zu seinem Erzeuger, die Trauer über den Weggang des älteren Bruders, der in den USA lebt, die Liebe zu den Frauen und den harten Getränken, eine Neigung, die Grenzen der Legalität zu dehnen und eine andere, sich Autoritäten zu widersetzen. Die führt auch dazu, daß er, für den man in Berlin nur eine Stelle bei der „Sitte“ hat, auf eigene Faust in einer Mord-ermittlung tätig wird. So gerät er in die finstere Unterwelt der pulsierenden Metropole, wo das organisierte Verbrechen in Gestalt der „Ringvereine“ das Sagen  hat und sich die Grenze zu jenen Geheimbünden verwischt, die im „Nachkrieg“ den Umsturz geplant hatten und nun mit Waffenschieberei das große Geld verdienen wollen.

Wenn der Gang der Ereignisse an Tempo gewinnt, wirken die Umsetzungen von Arne Jysch gekonnt, aber eher konventionell, während zu den reizvollsten Darstellungen die großformatigen Szenen gehören, in denen er die Halle des Potsdamer Bahnhofs zeigt, eine Collage zum Aufmarsch der KPD am „Blutmai“ 1929, Ernst „Buddha“ Gennat, den berühmtesten Kriminalisten seiner Zeit, beim obligatorischen Kuchenverzehr, die Pathologie mit dem Mordopfer auf dem Seziertisch oder das futuristische Karstadt-Hochhaus im Zentrum Berlins.

Das Buch von Arne Jysch steht am Anfang dessen, was man – ohne bösen Ton – die „Verwertungskette“ der Romane Kutschers nennen könnte. Gegen solche Weiterverwendung ist im vorliegenden Fall auch nichts einzuwenden. Als nächstes wird eine Verfilmung als Fernsehserie (unter dem Titel „Babylon Berlin“) durch Tom Tykwer folgen. Ohne Zweifel gibt der Stoff das her. Und wer solchen Zweit- und Drittnutzungen nichts abgewinnen kann, dem bleibt die Perspektive, daß Kutscher seinen Lesern noch drei weitere Bände versprochen hat, in denen Rath einsam über das Pflaster der Großstadt zieht und Verbrecher jagt.

 www.gereonrath.de

Arne Jysch/ Volker Kutscher: Der nasse Fisch. Graphic Novel, Carlsen Verlag, Hamburg 2017, gebunden, 212 Seiten, 17,99 Euro